Veröffentlichung der Studie „Nachhaltigkeit in der Kapitalmarktkommunikation“
Anhand von 13 qualitativen Interviews mit Vertretern von Aktiengesellschaften aus DAX, MDAX und SDAX, einer quantitativen Inhaltsanalyse der IR-Website von 90 Unternehmen in diesen Indizes sowie einer quantitativen Befragung von 85 Investor Relations-Verantwortlichen in Unternehmen aus dem Prime Standard und dem Freiverkehr wurden Herausforderungen, Verantwortlichkeiten, Prozesse, Maßnahmen und Instrumente der Kapitalmarktkommunikation zum Thema Nachhaltigkeit analysiert. Auf dieser Basis kann der Status quo der Nachhaltigkeitskommunikation an den Kapitalmarkt in Deutschland dargelegt werden. Weiterhin wurden drei Professionalisierungsgrade der Nachhaltigkeitskommunikation an den Kapitalmarkt unterschieden sowie ein State of the Art Investor Relations-Programm für Nachhaltigkeit beschrieben.
Die Studie kommt zu folgenden Haupterkenntnissen:
- Treiber und Herausforderungen: Das Thema Nachhaltigkeit scheint noch nicht im Herzen der Kapitalmarktkommunikation angekommen zu sein. 63,5 Prozent der Befragten geben an, dass sie Nachhaltigkeit vor allem reaktiv, also auf Anfrage der Kapitalmarktteilnehmer, kommunizieren; weitere 7,1 Prozent gar nicht. Vor allem Investoren (64,7 % Zustimmung) sowie Analysten und Ratingagenturen (52,9 %) fordern die Kommunikation von Nachhaltigkeitsthemen ein. Im Unternehmen spielen interne "Change Agents" offenbar eine große Rolle bei der Entwicklung des Themas: 76,5 Prozent sehen in einzelnen Funktionen oder Personen im Unternehmen die wichtigsten Treiber für das Thema. Gleichzeitig stellen die fehlende Standardisierung des ESG-Reporting (82 %), die fehlende Transparenz der Bewertungsmethoden der Ratingagenturen (72 %), die Komplexität und Dynamik der Regulierungsanforderungen (55 %) sowie mangelnde Kenntnisse der Investorenbedürfnisse (32 %) die zentralen Herausforderungen für die Entwicklung der Nachhaltigkeitskommunikation an den Kapitalmarkt dar.
- Status quo – drei Professionalisierungsgrade: Die Nachhaltigkeitskommunikation an den Kapitalmarkt befindet sich in einem dynamischen Entwicklungsprozess; es existiert eine große Vielfalt der Kommunikationsansätze im Feld. Sie lässt sich idealtypisch in drei Professionalisierungsgrade unterteilen: Pflichtkommunikation, aktive Nachhaltigkeitskommunikation und strategische Nachhaltigkeitskommunikation. Die internen Herausforderungen, Strukturen und Prozesse aber auch der Einsatz von Kommunikationsinstrumenten unterscheiden sich in diesen Graden deutlich.
Im ersten Grad (Pflichtkommunikation) stellt die Erfüllung gesetzlicher Anforderungen in Bezug auf Nachhaltigkeit (bspw. nichtfinanzielle Erklärung) die zentrale Herausforderung dar. Zudem müssen Entscheider unternehmensintern für die Relevanz von Nachhaltigkeit sensibilisiert werden, Strukturen und Prozesse müssen etabliert werden.
Für Unternehmen, die diese Herausforderungen gemeistert haben und statt einer reaktiven eine proaktive Nachhaltigkeitskommunikation (2. Grad) betreiben wollen, wird die Definition, Erhebung und Aufbereitung von ESG-Daten zur zentralen Herausforderung. Hier stellen die Zielgruppen zunehmend auch Fragen nach der Relevanz, der strategischen Bedeutung der ESG-Informationen.
Im dritten Grad (strategische Nachhaltigkeitskommunikation) ist Nachhaltigkeit darum Teil der Geschäftsstrategie, die materiellen ESG-Themen sind definiert und entsprechende KPIs abgeleitet. Diese werden mit den klassischen Finanzkennzahlen verknüpft, die Equity Story wird entsprechend angepasst. Insgesamt weisen DAX- und MDAX-Unternehmen tendenziell einen höheren Professionalisierungsgrad auf. Jedoch zeigt sich in fast allen Unternehmen eine Diskrepanz zwischen intern bereits getroffenen Entscheidungen in Bezug auf Nachhaltigkeit und ihrer operativen Umsetzung sowie Sichtbarkeit für die Kapitalmarktteilnehmer.
- Strategie und Management: Immerhin 47 Prozent der befragten Unternehmen haben Nachhaltigkeit zum Bestandteil der Geschäftsstrategie gemacht. Bei 74 Prozent der Unternehmen ist Nachhaltigkeit jedoch noch nicht Element der Vorstandsvergütung. 70 Prozent der Unternehmen haben die wesentlichen ESG-Kennzahlen im Sinne einer Materialitätsanalyse definiert. Dennoch haben 59 Prozent der Unternehmen Nachhaltigkeit (noch) nicht in ihre Equity Story aufgenommen.
- ESG-Reporting: Das ESG-Reporting ist eine notwendige Voraussetzung für eine aktive und strategische Nachhaltigkeitskommunikation an den Kapitalmarkt. 54,2 Prozent der befragten Unternehmen veröffentlichen einen separaten Nachhaltigkeitsbericht, nur 15,3 Prozent einen integrierten Bericht. Bei 60 Prozent der Unternehmen liegt die Hauptverantwortung für das ESG-Reporting bei der Nachhaltigkeitsabteilung. Letzteres ist insofern beachtlich, als dass die institutionellen Investoren als wichtigste Zielgruppe der Nachhaltigkeitsberichterstattung genannt werden. Damit zeigt sich die Bedeutung der Schnittstelle zwischen Nachhaltigkeits- und IR-Abteilung.
- Strukturen und Ressourcen: Eine professionelle Nachhaltigkeitskommunikation an den Kapitalmarkt erfordert entsprechende finanzielle, personelle und fachliche Ressourcen in der IR-Abteilung. 54 Prozent der IR-Abteilungen haben bereits intern einen Verantwortlichen für ESG-Themen benannt. Tatsächlich setzen sich die IR-Verantwortlichen überwiegend jedoch nur mit bis zu 10 Prozent ihrer Arbeitszeit mit Nachhaltigkeitsthemen auseinander. Vor allem der Schritt zur aktiven Nachhaltigkeitskommunikation macht es notwendig, dass eine personelle Verantwortlichkeit definiert wird. Dieses Mitglied des IR-Teams treibt intern das Thema voran und verankert es in der IR-Kommunikation, es steht nach außen als Ansprechpartner zur Verfügung.
- Instrumente und Maßnahmen: Die IR-Website ist das am meisten genutzte Instrument für die Darstellung von Nachhaltigkeitsinformationen, jedoch haben nur 8 Prozent der befragten Unternehmen einen Menüpunkt für das Thema Nachhaltigkeit auf der IR-Website verankert. Nur 6 Prozent präsentieren dort ESG-KPIs, meist wird auf die Nachhaltigkeitsseite verlinkt (43 %). Werden ESG-Themen angesprochen, liegt der Fokus tendenziell auf Governance-Aspekten. Nur 9 Prozent der Unternehmen bieten auf der IR-Website Informationen zu Nachhaltigkeitsratings, 16 Prozent zu Nachhaltigkeitsindizes. Die Befragten betrachten vor allem Roadshows und One-on-One-Meetings als geeignet für die Vermittlung von Nachhaltigkeitsthemen. Auch Investoren- und Analysten-Calls und Capital Market Days spielen eine Rolle. Diese Einschätzung weist eine Diskrepanz zu den tatsächlich auf den IR-Websites verfügbaren Dokumenten und Unterlagen auf. ESG-Aspekte finden sich vor allem in Präsentationen zu Capital Market Days (51 %), gefolgt von Roadshows (44 %) und Konferenzen (40 %) – aber kaum in den Unterlagen für Investoren- und Analysten-Calls (15 %).
"Mit der Studie ist es uns gelungen, den aktuellen Stand der Nachhaltigkeitskommunikation an den Kapitalmarkt in Deutschland abzubilden und unterschiedliche Professionalisierungsgrade zu identifizieren," sagt Prof. Dr. Christian Hoffmann, Professor für Kommunikationsmanagement an der Universität Leipzig und Akademischer Leiter des Center for Research in Financial Communication. "Die Ergebnisse machen deutlich, dass die IR-Praxis die Bedeutung der Nachhaltigkeitskommunikation erkennt – viele Unternehmen arbeiten an der strategischen Verankerung der Nachhaltigkeit. Nun wird es Zeit, dass die Kapitalmarktkommunikation nachzieht. In vielen Equity Stories wird das Thema bisher ignoriert, viele IR-Abteilungen adressieren es nur zurückhaltend und auf Nachfrage."
Kay Bommer, Geschäftsführer des DIRK, ergänzt: "Die Studie ist ein idealer Ausgangspunkt für die Diskussion und weitere Professionalisierung der Finanzkommunikation im Hinblick auf die Integration von Nachhaltigkeit. Noch liegen die Verantwortlichkeiten häufig in der Nachhaltigkeitsabteilung, der Austausch ist eher informell und ESG-Kompetenzen in der IR-Abteilung müssen aufgebaut werden. Investor Relations hat jetzt noch die Chance, sich proaktiv des Themas anzunehmen und sich auch unternehmensintern als Change Agent zu profilieren."
Die vollständige Studie steht auf der DIRK-Website oder auf der CRiFC-Website zum Download bereit.
Weitere Erkenntnisse der Studie werden in einem Webinar am Dienstag, den 23. Juni 2020 um 16 Uhr erläutert. Die Teilnahme ist kostenlos. Weitere Informationen zum Webinar erhalten Sie auf www.dirk.org.
Das Center for Research in Financial Communication (CRiFC) wurde 2016 unter dem Dach der Günter-Thiele-Stiftung an der Universität Leipzig gegründet. Im Mittelpunkt der Aktivitäten stehen nationale und internationale Forschungs- und Lehrprojekte im Themengebiet Finanzkommunikation und Investor Relations. Diverse Veranstaltungen unterstützen den engen fachlichen Austausch zwischen Forschung und Praxis. Die BASF SE (www.basf.com), die Deutsche Börse AG (www.deutsche-boerse.com) und Hering Schuppener Consulting (www.heringschuppener.com) unterstützen und beraten das Forschungsteam des CRiFC als Partner.
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