Nachhaltigkeitsrat sieht deutsche EU-Ratspräsidentschaft als Momentum für mehr Nachhaltigkeit in Europa
Der Rat für Nachhaltige Entwicklung hat seit seiner Neuberufung zu Beginn des Jahres insgesamt sechs Stellungnahmen und Empfehlungen vorgelegt, die eine große Themenbreite von Wasserstoff über Ernährungssysteme, Lieferketten, Sustainable Finance, den Weg aus der Corona-Krise und die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie behandeln – und immer auch die europäische Dimension einbeziehen.
Erst kürzlich hatte die Bundeskanzlerin auf der Online-Konferenz des Nachhaltigkeitsrats bekräftigt, dass das Maßnahmenpaket der Bundesregierung kurz- und langfristigen Zielen dienen solle und damit „gleichermaßen die Folgen der Pandemie eindämmen und in nachhaltige Entwicklung investieren“ werde. „Dies gilt genauso für Europa“, sagte Schnappauf.
Prof. Dr. Imme Scholz, stellvertretende Ratsvorsitzende und stellvertretende Direktorin des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), ergänzte: „Auch die Verantwortung der Unternehmen für soziale und ökologische Standards in ihren Lieferketten gehört auf die Tagesordnung der EU-Ratspräsidentschaft, genauso wie die Neuausrichtung der Agrarpolitik auf nachhaltige Ernährungssysteme. Das betrifft die Beschäftigungsbedingungen ebenso wie die Qualität der Produkte und Produktionsprozesse. Nachhaltige Entwicklung für uns und für alle Menschen weltweit erreichen wir nur, wenn wir jetzt in diesen Politikbereichen mutig voranschreiten.“
Konkret fordert der Rat von der Bundesregierung in den nächsten sechs Monaten:
Ökologische und soziale Zusammenarbeit in der EU zu stärken, insbesondere die mittel- und langfristigen Maßnahmen des geplanten Wiederaufbau-Fonds („recovery fund“) zur Unterstützung der wirtschaftlichen Erholung und des European Green Deal intelligent miteinander zu verweben und auszugestalten.
Bei den entscheidenden Themen des Green Deals auf ein notwendiges Nachsteuern bei den Vorschlägen der Kommission zu drängen. Diese sind insbesondere die Energietransformation, Ernährungssysteme, Transport sowie nachhaltiger Konsum und Produktion. In Bezug auf Ernährungssysteme sowie bei Produktion und Konsum von Gütern muss die EU ihren globaler Ressourcenfußabdruck reduzieren. Dafür sollte ein ambitionierter Maßnahmenplan entwickelt werden. Beim Thema Transport sollten Institutionen und Infrastruktur für den Personenschienenverkehr in der EU ausgebaut sowie innereuropäische Flüge besteuert werden. Außerdem erwartet der Rat, dass Beschlüsse zu Zielsetzungen und Maßnahmen, die die Umsetzung der Agenda 2030 in den nächsten sieben bis zehn Jahren erfordert, von der Europäischen Kommission vorbereitet werden und sich auch im Mehrjährigen Finanzrahmen abbilden.
Gemeinsame Wiederaufbau- und Transformationsfinanzierung zu schaffen, beispielsweise indem die Verhandlungen zu Sustainable Finance auf europäischer Ebene sowie die Umsetzung des Green Deal vorangetrieben werden. Das bedeutet auch:
Sich mit substanziellen Beiträgen an einer nachhaltigen Umsetzung des Green Deals zu beteiligen und den Mitteleinsatz zum sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbau nach der Corona-Krise so zu steuern, dass die Ziele des Pariser Klimaübereinkommens und der Agenda 2030 damit erreicht werden können, und zwar sowohl in Deutschland als auch in Europa und weltweit. Um diesen hohen Grad an Zukunftsorientierung und politischer Konsistenz zur Vorbeugung weiterer Krisen und zur Förderung von sozialer Resilienz zu erreichen, muss sich die Bundesregierung entsprechend in der EU, der G7 und der G20 einsetzen.
Strategische Partnerschaften beim Thema Wasserstoff in Europa und international aufzubauen und zu stärken. Ein europäisch abgestimmtes Vorgehen beim Aufbau eines grünen Wasserstoffmarktes wertet der Rat als große Chance, um neue Wertschöpfungsketten zu etablieren und den raschen Hochlauf neuer Technologien zu unterstützen. Der RNE drängt deshalb auf eine europäische Lösung und auf internationale Partnerschaften. Gerade mit den sonnenreichen Ländern Europas, Afrikas und darüber hinaus gilt es, Win-Win-Lösungen zu schaffen. Bei Partnerschaften mit Entwicklungsländern müssen dabei deren nationale Entwicklungsziele im Vordergrund stehen.
Lieferketten zu diversifizieren und Kreislaufwirtschaft zu fördern um auch regionale, nationale und europäische Beschaffungsoptionen zur Verfügung zu haben. Zu diesem Zweck ist es wichtig, strategische Wertschöpfungsketten für Europa zu definieren, z. B. bei lebenswichtigen Arzneimitteln. In der Corona-Pandemie hat sich die Bedeutung von fairen, an ökologisch orientierten und deswegen resilienteren Lieferbeziehungen deutlich gezeigt. Der RNE empfiehlt außerdem den Ausbau der Kreislaufwirtschaft in der Nachhaltigkeitsstrategie verstärkt zu verankern. Dazu sollte ein gemeinsamer europäischer Markt für Sekundärrohstoffe vorangetrieben werden, z. B. durch eine weitere Vereinheitlichung rechtlicher Bestimmungen.
Eine europäische Liefergesetzgebung zu initiieren und die Debatte entlang der Leitlinien eines deutschen Vorschlags führen. Die Bundesregierung sollte beim Thema nachhaltige Lieferketten parallel sowohl im eigenen Land als auch auf europäischer Ebene vorangehen. Wenn es auf EU-Ebene keinen ausreichenden Verhandlungsfortschritt gibt, sollte dann umgehend ein Lieferkettengesetz in Deutschland auf den Weg gebracht werden.
Eine umfassende Neuausrichtung der GAP einzuleiten, da die derzeitigen Zwischenstände in den Verhandlungen auf EU-Ebene aus Sicht des RNE für eine nachhaltige Agrarwende nicht ausreichen. Der RNE fordert daher die EU-Institutionen zu mutigen Schritten hin zu einem ökologisch, sozial und wirtschaftlich ausgewogenen Ernährungssystem auf. Die Mittel der gemeinsamen Agrarpolitik sollten zunehmend dazu genutzt werden, nachhaltige Formen der Landnutzung zu fördern.
Dem Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) gehören 15 Personen des öffentlichen Lebens an. Er wird jeweils für eine dreijährige Amtsperiode von Bundeskanzlerin Angela Merkel berufen. Den Vorsitz führt Dr. Werner Schnappauf, langjähriger bayerischer Umweltminister, stellvertreten von Prof. Dr. Imme Scholz, stellvertretende Direktorin des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE). Der Rat berät die Bundesregierung zur Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie, benennt dringende Handlungsfelder und trägt vielfältig dazu bei, Nachhaltigkeit zu einem wichtigen öffentlichen Anliegen zu machen.
Inhaltlich und in seinen Aktionsformen ist der Rat unabhängig. Ergebnisse seiner Arbeit sind zum Beispiel der Deutsche Nachhaltigkeitskodex, diverse politische Stellungnahmen zur nationalen und internationalen Nachhaltigkeitspolitik sowie zu Themen wie Digitalisierung, Klima, Rohstoffe, Plastik, Landwirtschaft. Der Rat bringt Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister zum Dialog "Nachhaltige Stadt" zusammen, hat den Peer Review 2018 zur deutschen Nachhaltigkeitsstrategie organisiert und moderiert, er vernetzt Akteure durch die Regionalen Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien (RENN) und fördert Projekte zur Alltagskultur mit diversen Ideenwettbewerben sowie den Deutschen Aktionstagen Nachhaltigkeit. Die Mitglieder des Rates werden durch eine Geschäftsstelle unterstützt.
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