EU muss Subventionen für Medien untersuchen
„Das Ende von Index.hu als unabhängiges Nachrichtenportal macht auf schockierende Weise sichtbar, wie miserabel es nach zehn Jahren unter der Regierung von Viktor Orbán um die Medienfreiheit in Ungarn steht“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die Europäische Kommission sollte endlich ihre Rolle als Wettbewerbshüterin wahrnehmen und die unfaire und undurchsichtige Verteilung staatlicher Werbegelder an ungarische Medien untersuchen.“
Mihr bekräftigte auch die Forderung von RSF, die Auszahlung von EU-Mitteln künftig viel klarer an die Einhaltung von Kriterien wie Pressefreiheit zu knüpfen als vom EU-Gipfel vor gut einer Woche beschlossen: „Die Mitgliedstaaten müssen EU-Mittel eindeutig an Respekt für rechtsstaatliche Prinzipien koppeln, wie dies auch das Europäische Parlament verlangt.“
Ende vergangener Woche hatte fast die gesamte Index-Redaktion gekündigt. Damit reagierten die Journalistinnen und Journalisten auf die Entlassung ihres Chefredakteurs Szabolcs Dull, mit der sich das Ringen um das zuletzt wichtigste verbliebene unabhängige Medium des EU-Landes am 22. Juli zugespitzt hatte. Ende März hatte ein Orbán-naher Unternehmer die Hälfte des Unternehmens gekauft, die das Anzeigengeschäft für Index managt. Seitdem mehrten sich die Sorgen um die Unabhängigkeit des bislang mit Abstand meistgelesenen ungarischen Nachrichtenportals.
Regierungstreue Medien erhalten drei Viertel der staatlichen Werbung
Ob die ehemaligen Index-Redaktionsmitglieder ein neues Medium gründen, sich bei bestehenden Redaktionen bewerben oder den Journalismus verlassen, ist derzeit noch unklar. Ihre neue Facebook-Seite haben innerhalb weniger Tage mehr als 250.000 Menschen abonniert. Sollten die Journalistinnen und Journalisten eine Neugründung versuchen, würde sie die unfaire Verteilung der erheblichen staatlichen Werbegelder in Ungarn jedenfalls vor große Finanzierungsprobleme stellen.
Drei Viertel der Werbebudgets öffentlicher Stellen, die sich insgesamt auf Hunderte Millionen Euro summieren, werden an Medien vergeben, die auf Regierungslinie berichten. So erhielt Index.hu 2017 nur 4,5 Prozent der staatlichen Werbung in Online-Medien. Dagegen bekam der regierungstreue Konkurrent Origo, der eine vergleichbare Reichweite hat, 44,5 Prozent. Diese diskriminierende Praxis macht den wenigen regierungskritischen Medien in Ungarn das Leben abgesehen von allen Anfeindungen und politischen Angriffen auch wirtschaftlich schwer. Infolge der Corona-Krise hat sich ihre schwierige Finanzlage zusätzlich verschärft, weil durch den Wirtschaftseinbruch auch viele Werbeanzeigen privater Unternehmen wegfallen.
Die EU-Vizepräsidentin für Werte und Transparenz, Věra Jourová, hat den Index-Journalistinnen und -Journalisten zwar ihre Solidarität und Unterstützung zugesichert, aber die Behörde von Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager verschließt bislang die Augen vor der rechtswidrigen Subventionierung regierungstreuer Medien. Dabei reichten die ungarische Nichtregierungsorganisation Mérték Media Monitor, der Radiosender Klubrádió und der damalige ungarische Europaabgeordnete Jávor Benedek schon Anfang 2019 eine detaillierte Beschwerde wegen der diskriminierenden Vergabe der öffentlichen Werbeetats ein. Im Dezember erinnerte RSF gemeinsam mit anderen Nichtregierungsorganisationen die Wettbewerbskommission an die Beschwerde, doch die Behörde blieb weiter untätig.
Ungarn steht auf Platz 89 von 180 Ländern auf der Rangliste der Pressefreiheit. Bei einer gemeinsamen Ungarn-Recherchereise im November 2019 kamen RSF und sechs weitere Pressefreiheits-Organisationen zu dem Ergebnis, dass die Regierung dort stärkere Kontrolle über die Medien ausübt als in jedem anderen EU-Land.
Weitere Informationen zur Lage der Pressefreiheit in Ungarn finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/ungarn.
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