Schlafmangel bei Frühschichten betrifft auch Lerchen
Wann und wieviel ein Mensch schläft, ist Typsache. Hierbei spielt vor allem der sogenannte Chronotyp eine Rolle, also die innere biologische Uhr für Schlafen und Wachsein. Ständig weniger als sieben Stunden zu schlafen gilt allerdings für frühe wie späte Chronotpyen als ungesund, weil die Konzentration leidet und damit das Unfallrisiko steigt. "Problematisch ist vor allem, dass dauerhafter Schlafmangel häufig gar nicht mehr wahrgenommen wird", sagt Barbara Hirschwald, Biologin beim IFA. Ständige, aber unbemerkte Unkonzentriertheit könne dann zu Unfällen führen. So ergab eine Untersuchung des AAA Foundation for Traffic Safety aus dem Jahr 2016 bereits ein signifikant erhöhtes Unfallrisiko bei weniger als sieben Stunden Nachtruhe.
Dass Nachtschichtarbeit meist mit Schlafmangel einhergeht, ist belegt. Bei Menschen, die in Frühschicht arbeiten, also mit einem Arbeitsbeginn zwischen 6:00 und 7:00 Uhr, ging die Wissenschaft bislang nicht von einem Schlafdefizit aus.
Beschäftigte zu Schlafgewohnheiten befragt
Die Frage, welchen Einfluss die Lage der Arbeitszeit und der Chronotyp auf die Schlafdauer haben und damit indirekt auf das Unfallgeschehen bei der Arbeit, war Gegenstand einer Nachuntersuchung meldepflichtiger Arbeitsunfälle durch das IFA. Es befragte 374 Beschäftigte aus verschiedenen Mitgliedsbetrieben der Berufsgenossenschaft Holz und Metall zu ihren Schlafgewohnheiten. Angaben über Aufsteh- und Zubettgeh-Zeiten an Arbeitstagen und in freien Zeiten ermöglichten Rückschlüsse auf die Schlafdauer. Die innere biologische Uhr der Beschäftigten, der Chronotyp, wurde dabei ebenfalls berücksichtigt.
Dauerhafter Schlafmangel betrifft demnach auch Menschen, die regelmäßig in Frühschicht arbeiten. Hirschwald: "Das Risiko weniger als sieben Stunden Schlaf zu bekommen, steigt bei ihnen um das Vierzehnfache im Vergleich zu Beschäftigten, die später zur Arbeit gehen."
Vor einer Frühschicht wird durchschnittlich knapp sechseinhalb Stunden geschlafen, ohne Schichtarbeit sind es fast 45 Minuten mehr. Späte Chronotpyen schlafen erwartungsgemäß an Frühschichttagen noch weniger als die mittleren und frühen Chronotypen, die sogenannten Lerchen. Trotzdem gilt: Die meisten Beschäftigten in Früharbeit – auch die mittleren und frühen Chronotypen – müssen sehr viel früher aufstehen, als es für sie passend und damit gesund wäre.
Hirschwald: "Die Arbeit später beginnen lassen, den Chronotyp bei der Schichtplanung berücksichtigen, Schlafstörungen in der arbeitsmedizinischen Untersuchung thematisieren, all das kann dazu beitragen, dass Beschäftigte in Schichtarbeit ausgeschlafen sind. Davon profitieren ihre Gesundheit, ihre Aufmerksamkeit und letztlich gibt es auch weniger Unfälle."
Hintergrund
Schichtarbeit und Sicherheit und Gesundheit
Laut Eurostat arbeiteten 2018 mehr als 15 Prozent der 15-64-Jährigen in Deutschland in Schichtarbeit. Schichtarbeit zählt zu den atypischen Arbeitszeitformen. In einem Bericht aus dem Jahr 2016 bestätigt die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA): "Die Befundlage aus den Primär- und Sekundärstudien zu Schichtarbeit deutet auf einen engen Zusammenhang zwischen Nachtarbeit, affektiver Symptomatik und einem erhöhten Risiko für Erschöpfungszustände hin […] Außerdem lässt die Befundlage darauf schließen, dass Schichtarbeit zu einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen beiträgt." Aus einer BAuA-Arbeitszeitbefragung aus demselben Jahr geht hervor, dass Beschäftigte in Schichtarbeit ihre Gesundheit in Umfragen deutlich schlechter einschätzen und häufiger unter Rückenschmerzen, Kreuzschmerzen, Schlafstörungen, Müdigkeit, Erschöpfung und Niedergeschlagenheit klagen.
Leiden Schichtarbeitende dauerhaft an Tagesmüdigkeit und Schlafstörungen, steigt das Risiko für Erkrankungen und Unfälle. In einer Untersuchung zum Zusammenhang von Schlaf und Arbeitssicherheit fanden Brossoit et al., dass Symptome von Insomnie (Einschlaf- und Durchschlafschwierigkeiten) der stärkste Prädiktor für Sicherheitsrisiken bei der Arbeit sind. Ein systematisches Review mit Metaanalyse zeigte, dass etwa 13 % der Arbeitsunfälle durch Müdigkeit verursacht werden.
Chronotyp
Der Chronotyp ist ein persönliches und genetisch festgelegtes Merkmal wie zum Beispiel auch der Körperbau. Der Chronotyp bezeichnet den individuellen biologischen Rhythmus im Verhältnis zum äußeren 24-Stunden-Tag: Wann wird ein Mensch müde, wann ist die beste Zeit für körperliche und geistige Anstrengung oder wann wird jemand hungrig. Jeder Mensch besitzt diese innere Uhr, die den Tagesrhythmus bestimmt und eine Vielzahl an Vorgängen im Körper steuert. Selbst die Wirkung von Medikamenten ist abhängig vom individuellen Rhythmus. Frühe Chronotypen, sogenannte Lerchen, können früh zu Bett gehen und einschlafen. Ihre Leistungsphase liegt meistens zwischen 10 und 18 Uhr. Die späten Chronotypen oder Eulen haben eher eine Leistungsphase zwischen 14 und 22 Uhr, sind abends lange fit und können morgens bis in den Vormittag hinein schlafen. Der Chronotyp sagt also etwas darüber aus, ob jemand früh oder spät aktiv ist, aber nicht, wie viel Schlaf benötigt wird.
Aktuelle Querschnittsstudie
In der Querschnittsuntersuchung des IFA wurden 374 Beschäftigte mit meldepflichtigem Arbeitsunfall zu ihrem Chronotyp und ihren üblichen Schlafenszeiten befragt. Zur Chronotypermittlung wurde die Composite Scale of Morningness (CSM) in der deutschsprachigen Version verwendet. Die Effekte von Schichtarbeit, Chronotyp und Alter auf die Schlafdauer wurden mittels multivariabler linearer bzw. logistischer Regression untersucht.
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