ZVO zeigt wissenschaftliche Schwächen der jüngsten ECHA-Studie auf
Der ZVO begrüßt, dass die ECHA mit der Studie versucht, die realen Auswirkungen von Restriktionen und Autorisierungen zu erfassen – hier mit Blick auf die Anforderung zur Substitution von Verwendungen von SVHCs (Substances of Very High Concern).
Der ZVO stimmt aus praktischen Erfahrungen von Unternehmen einigen der Ergebnisse und Schlussfolgerungen zu:
- Die Wirkung von Beschränkungen auf Substitutionen ist wirksamer als von Autorisierungen.
- Nachhaltigkeitsrichtlinien führen wie jede Art von Regulierung naturgemäß zur Prüfung auf alternative Möglichkeiten.
- Kundennachfragen bzw. Kundenanforderungen führen direkt zu Überlegungen zu Alternativen, falls die aktuelle Technologie den neuen Anforderungen nicht genügen kann.
- Sichere Alternativen erreichen in den seltensten Fällen gleichzeitig finanziellen Nutzen und/oder Wettbewerbsvorteile. Andernfalls wären bereits Substitutionsbemühungen durchgeführt worden, um diese beiden wesentlichen Geschäftsziele zu verbessern.
- Die Verringerung der Emissionen in die Umwelt und der Exposition der Arbeitnehmer wird naturgemäß als wichtigster Vorteil der Substitution angesehen, da sie die Gründe für die regulativ geforderte Substitution sind.
Der ZVO kann jedoch einige Empfehlungen, die aus der Studie gezogen werden, nicht nachvollziehen:
- Der Substanzgruppenansatz war nicht Gegenstand der Untersuchung und es wurden keine Aussagen dazu getroffen. Der Nutzen der Substanzgruppierung kann daher aus dieser Studie nicht abgeleitet werden. Der ZVO hat ein Positionspapier zur Substanzgruppierung erarbeitet, das auf die nicht unerheblichen Gefahren aus diesem chemisch und technisch fragwürdigen Ansatz hinweist[1].
- Ebenso gibt es keine Daten zu den Hintergründen von Netzwerken und technischer Zusammenarbeit im Rahmen dieser Studie. Der ZVO wies bereits wiederholt darauf hin, dass die komplexen Verflechtungen von Liefernetzwerken zu zahlreichen, sich widersprechenden technischen Ansätzen führen würde. Gerade für KMUs, die in zahlreiche unabhängige Lieferketten eingebunden sind, ist eine solche Vorgehensweise nicht realisierbar.
Der ZVO weist dringend darauf hin, dass die Studie diverse wissenschaftliche Schwächen aufweist, die den Wert ihrer Schlussfolgerungen stark mindern und deren Objektivität in Frage stellt. Dies soll anhand der folgenden Kriterien für sorgfältige wissenschaftliche Arbeit verdeutlicht werden:
- Die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse der Studie ist nicht verifiziert. Da diese Untersuchung bisher allein steht und nicht durch unabhängige analoge Studien bestätigt wurde, ist sie aus Sicht des ZVO nicht zur Begründung von Maßnahmen geeignet. Ihre Schlussfolgerungen sind lediglich als Hypothesen zu betrachten. Nach den Regeln von sorgfältiger Wissenschaft sind diese erst nach bestandenen unabhängigen Falsifikationstests als Basis einer verwendbaren Theorie anzusehen.
- Die Aussagefähigkeit der Studie ist in einigen Aspekten in Frage zu stellen. So werden Beurteilungskriterien nicht sauber definiert und überschneiden sich. Die Bewertung suggeriert dadurch direkte Einflüsse von Kriterien, obwohl sie Folge und nicht Ursache sind. Beispiel Figur 7: „Market concerns“ und „sustainability concerns“ sind in erheblichem Maße eine Folge von „regulation“ und daher nicht unabhängig!
- Die Studie ist nicht repräsentativ. Zahl und Auswahl der Beteiligten erlauben keine generelle Aussage oder Schlussfolgerung. Beispiel Figur 2: Es fehlt eine Betrachtung, welcher Anteil an allen Unternehmen erfasst wurde. Für Chromtrioxid stehen 32 Antworten zur Verfügung; hingegen wird im Anhang XV-Dokument von 18.000 Anlagen für Oberflächenbeschichtung ausgegangen (allein in Deutschland sind danach 1.500 KMUs betroffen)[2]! Die Studie erfasst demnach offenbar weniger als 1 Prozent der betroffenen Unternehmen bzw. Anlagen!
- Die Richtigkeit der Studie und ihrer Aussagen ist in Zweifel zu ziehen. So werden Aussagen getroffen, die nicht durch die Untersuchung gedeckt sind. Beispiel Figur 18: Der Studienersteller zieht hieraus das wesentliche Ergebnis, dass die Unternehmen Substitution als Weg zur Verbesserung ihres „public image“ sehen. Dieser Aspekt ist in der Auswertung jedoch nicht vorhanden!
Die Studie nimmt willkürliche Wertungen vor. Beispiel Figur 18: Es ist nicht nachzuvollziehen, warum eine „Erhöhung der Mitarbeiterzahl“ einen Nutzen darstellen soll. Erfahrungsgemäß ist die Erhöhung der Mitarbeiterzahl bei gleicher Produktion ein wirtschaftlicher Nachteil, zumal Personalkosten i.d.R. den größten Kostenblock in einem oberflächentechnischen Unternehmen darstellen.
Wesentliche Ergebnisse werden nicht bewertet und finden keinen Eingang in die Schlussfolgerungen bzw. Empfehlungen. So werden auf den Seiten 43 und 44 signifikante einmalige und jährliche Kostensteigerungen berichtet. Auch ein wesentliches Ergebnis wird daraus generiert. Dennoch wird der Aspekt nicht weiter berücksichtigt.
- Die Genauigkeit der Studie ist gering. Beispiel Figur 3: Eine prozentuale Darstellung wie hier liefert ein falsches Bild und suggeriert scheinbare Genauigkeit. Insgesamt haben vier Distributoren (Händler?) bezüglich sieben Substanzen oder uses geantwortet. Da der Studie neun Substanzen mit zwölf uses zugrunde gelegt wurden, sind keine quantitativen Aussagen zum Frageziel möglich.
Der ZVO stimmt mit den Zielsetzungen der Studie überein, regt jedoch dringend an, folgende Schlussfolgerungen aus dem vorliegenden Dokument zu ziehen:
- Die Untersuchungen der Studie sind auf eine repräsentative Anzahl betroffener Unternehmen auszudehnen. Die Studien sollten unabhängig von Regulierungsbehörden ergebnisoffen durchgeführt werden und ausreichende Förderung erhalten.
- Die von der Studie betrachteten Inhalte sind um Negativbeispiele zu ergänzen. Viele Substitutionsanstrengungen scheiterten. Es wäre wichtig, diese Fälle ebenfalls zu analysieren. Unternehmen benötigen Informationen, welche Vorgehensweisen und Inhalte nicht zum Erfolg oder zu wirtschaftlich, technisch oder umweltbezogenen bedauerlichen Substitutionen geführt haben. ECHA bzw. Europäische Kommission sollten ein Portal zu diesen Erfahrungen zur Verfügung stellen.
- Eine verbesserte Finanzierungssituation für Forschungsinstitute sollte nur für grundlegende Forschung an alternativen Technologien geschaffen werden. Gezielte Substitution bestimmter industrieller Prozesse wird von der Industrie selbst vollzogen werden müssen – denn nur hier sind die zu erfüllenden Spezifikationen bekannt. Es wäre daher zu begrüßen, wenn Fördermittel zur lieferkettenspezifischen Forschung und Entwicklung in größerem Maße und einfacher zur Verfügung gestellt würden.
- Die Studieninhalte sind unbedingt auf langjährige Erfahrungen mit den Substitutionslösungen wie beispielsweise Marktakzeptanz, Produktsicherheit etc. auszudehnen.
- Ebenso ist zu ergänzen, welche Änderungen des Risikos durch die Substitution verursacht wurden. Diese Folgeanalyse darf nicht ausschließlich die Emission des fraglichen Stoffes umfassen. Es sind vielmehr auch Fragen zu anderen Umwelteinflüssen (zusätzliches Abwasser, Energiebedarf, Recyclingfähigkeit, Nebenprodukte etc.), anderen Emissionen am Arbeitsplatz (Staub, lungengängige A- und E-Fraktionen etc.) sowie anderen Risiken (akute Toxizität, Brandgefahr, Explosionsgefahr, Produktsicherheit) durch Prozessänderungen zu beantworten.
- Wirtschaftliche Folgen dürfen nicht ausgespart bleiben, um Substitutionswirkungen realistisch beurteilen zu können. Sie sind gleichwertig zu betrachten und zu berichten. Gerade für KMUs sind hier existenzielle Auswirkungen zu erwarten. Auch ist es unverzichtbar, auf die durch die regulativ forcierte Substitution bedingten Verschiebungen von Marktanteilen europäisch und weltweit Bezug zu nehmen.
Der ZVO bietet jederzeit aktive Mitarbeit bei der Umsetzung der vorgeschlagenen Aspekte an.
[1] https://www.zvo.org/fileadmin/zvo/Positionspapiere/PosPapier_Substitutionsstrategie_ECHA_01_04_2020.pdf
[2] PROPOSAL FOR IDENTIFICATION OF A SUBSTANCE AS A CMR CAT 1 OR 2, PBT, vPvB OR A SUBSTANCE OF AN EQUIVALENT LEVEL OF CONCERN für Chromtrioxid, Seite 14
Über die Galvano- und Oberflächentechnik:
Die Galvano- und Oberflächentechnik ist eine mittelständisch geprägte Industriebranche, die europaweit rund 440.000 Mitarbeiter beschäftigt, davon 50.000 in Deutschland. Allein in Deutschland erwirtschaftet die Branche einen Umsatz von ca. 7,5 Mrd. EUR. Die Struktur der Galvanobetriebe wird dabei von KMUs dominiert, nur ein geringer Anteil der Betriebe erreicht Größen von mehr als 100 Mitarbeitern. Die Oberflächenbranche ist eine Schlüsselindustrie, deren Dienstleistung Voraussetzung für die Funktionalität von Bauteilen, Geräten und Maschinen nahezu jeder anderen Branche ist. Die Galvanotechnik verhindert dabei jährlich Korrosionsschäden von ca. 150 Mrd. EUR. Galvanotechnik ermöglicht eine zuverlässige Funktionalität einer Vielzahl unterschiedlichster Bauteile: Kein Auto verlässt mehr das Band, bei dem nicht wesentliche Teile oberflächenveredelt sind. Die moderne Medizintechnik ist ohne neuere Verfahren der Oberflächentechnik nicht denkbar, aber auch Bauwirtschaft und Sanitärindustrie, die Elektrotechnik und die Elektronikindustrie sowie die Flugzeugindustrie kommen ohne Oberflächenveredelung nicht aus.
Mehr Informationen: www.zvo.org
Der Zentralverband Oberflächentechnik e.V. (ZVO) vertritt die Interessen von Roh- und Verfahrenslieferanten, Anlagenherstellern, Komponentenherstellern, Dienstleistern, Beschichtern und Galvaniken der deutschen Galvano- und Oberflächentechnik. Seine Mitgliedsunternehmen sind im Bereich der Oberflächenveredelung mit Metallen oder Metallverbindungen aus flüssigen Prozessmedien tätig. Für Abnehmerindustrien, Politik und Behörden ist der ZVO zentraler Ansprechpartner zu wirtschafts-, umwelt-, energie- und bildungspolitischen Fragen mit Bezug auf Galvano- und Oberflächentechnik.
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