UFZ-Modelle im Einsatz gegen die Afrikanische Schweinepest
Während die Afrikanische Schweinepest Deutschland erreicht hat und die Behörden in Brandenburg derzeit dabei sind, Notfallmaßnahmen umzusetzen, forscht unser Team bereits mit Hochdruck an einer Exit-Strategie. Im Auftrag der EFSA gehen wir der Frage nach, anhand welcher Kriterien man sicher festlegen kann, ab wann eine Region, in der eine infizierte Wildschweinpopulation festgestellt wurde, wieder als seuchenfrei einzustufen ist. Das ist insbesondere für landwirtschaftliche Betriebe in betroffenen Gebieten von großer wirtschaftlicher Bedeutung, um möglichst schnell wieder Zugang zum internationalen Schweinefleischmarkt zu erlangen.
Doch wie stellt man sicher fest, dass es wirklich keine aktive Infektion unter den Wildschweinen in einem Gebiet gibt? Wissenschaftlich gesicherte Antworten darauf zu geben, ist nicht so einfach, wie es scheint. Zum einen wissen wir, dass diagnostische Tests immer nur eine Stichprobe aus der tatsächlichen Situation repräsentieren. Zum anderen sehen wir, dass durch die behördliche Umsetzung der Maßnahmen die Krankheit mehr und mehr verschwindet und schließlich sämtliche Testergebnisse negativ sind, so wie es derzeit in der Tschechischen Republik und in Belgien der Fall ist. Darf man in dieser Situation sagen, eine Region oder ein EU-Mitgliedsstaat ist frei von Afrikanischer Schweinepest? Und dürfen diese Regionen oder Staaten wieder am Welthandel teilnehmen, so wie es die Weltorganisation für Tiergesundheit vorgibt? Unsere spontane Antwort darauf wäre Jein.
Wenn man lange genug negative Testergebnisse unter Wildschweinen hat, steigt das Sicherheitsgefühl, dass es tatsächlich keine erkrankten Exemplare mehr gibt. Dieses Gefühl lässt sich mathematisch quantifizieren: Durch hundertfache Simulationen eines Ausbruchs der Afrikanischen Schweinepest auf dem virtuellen Experimentierfeld unseres ökologischen Modells können wir nachvollziehen, wie sich die Zahl der erkrankten Wildschweine im Verlauf der Bekämpfungsmaßnahmen verändert und ab wann Tests an Tieren in einem Gebiet tatsächlich nur noch negative Ergebnisse liefern müssen – das Gebiet also frei von der Krankheit ist. Wie wichtig das ist, zeigt der Fund eines infizierten Wildschweins in Estland, nachdem dort über Monate nur negative Testergebnisse festgestellt wurden. Bedeutet dieser Fund nun, dass erneut alle behördlichen Restriktions-Maßnahmen anlaufen müssen oder kann man analysieren, welche Rolle das Tier hatte und damit eventuell die Maßnahmen einschränken? Wie ist es möglich, dass nach einer so langen Zeit auf einmal ein Tier positiv getestet wird? Antworten auf diese Fragen wollen wir mit der Entwicklung der sogenannten Exit-Strategie für die Afrikanische Schweinepest geben. Dafür nutzen wir unser Modell, das verschiedene Szenarien in zeitliche Verlaufskurven der Ausbreitung übersetzt. Sie werden zeigen, wie lange die Krankheit noch zirkuliert und wann sie verschwunden ist.
Frühere Erkenntnisse aus ähnlichen Simulationen sind bereits als wichtige Komponenten in die EU-Notfallstrategie zur Bekämpfung der Afrikanischen Schweinepest aufgenommen worden, die die EFSA in den letzten Jahren erarbeitet hatte. Dazu gehören unter anderem Vorgaben zur Ausdehnung der drei Schutzzonen (Kernzone, Gefährdetes Gebiet, Pufferzone), zur benötigten jagdlichen Intensität oder zur Anzahl der zu beseitigenden Kadaver. Zusammen ergibt sich die EU-Notfallstrategie, mit der die Ausbreitung der Seuche am ehesten zu stoppen ist. Dass das tatsächlich möglich ist, zeigen die Erfahrungen in der Tschechischen Republik und in Belgien. Im Gegenzug demonstriert der aktuelle Stand in Westpolen, dass es unumgänglich ist, Hausschweinebetriebe besonders strikt zu schützen und vor allem Wildschweine im direkten Umfeld des Eintrags konsequent zu reduzieren.
In Bezug auf die Situation in Deutschland zeigten unsere Analysen aber auch, dass sich die Krankheit gerade jetzt in den Monaten August und September mit mehr als 4 km/Monat deutlich schneller ausbreitet als im Frühling und Frühsommer mit weniger als 2 km/Monat. Ein möglicher Grund ist, dass die Wildscheinrotten ihre Bewegungsmuster an die durch agrarische Nutzung veränderte Landschaft anpassen. Es ist also, trotz aller Probleme, aus Sicht der Seuchenbekämpfung durchaus sinnvoll, wenn die Behörden in Brandenburg im gesamten Gefährdeten Gebiet ein Ernteverbot aussprechen. In diesem Sinne heißt es also, die jetzt angeordneten Maßnahmen möglichst strikt umsetzen, um die Afrikanische Schweinepest zeitnah zu bezwingen.
Hintergrundinformationen:
Bundesgesetzblatt Schweinepestverordnung, 8. Juli 2020: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&start=//*[@attr_id=%27bgbl120s1605.pdf%27]#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl120s1605.pdf%27%5D__1600258560144
Wissenschaftliche Publikationen:
Epidemiological analyses of African swine fever in the European Union (November 2017 until November 2018) European Food Safety Authority (EFSA), Anette Boklund, Brigitte Cay, Klaus Depner, Zsolt Fӧldi, Vittorio Guberti, Marius Masiulis, Aleksandra Miteva, Simon More, Edvins Olsevskis, Petr Satran, Mihaela Spiridon, Karl Stahl, Hans-Hermann Thulke, Arvo Viltrop, Grzegorz Wozniakowski, Alessandro Broglia, Jose Cortinas Abrahantes, Sofie Dhollander, Andrey Gogin, Frank Verdonck, Laura Amato, Alexandra Papanikolaou and Christian Gortazar (2018). http://dx.doi.org/10.2903/j.efsa.2018.5494
Understanding ASF spread and emergency control concepts in wild boar populations using individual‐based modelling and spatio‐temporal surveillance data. Lange M., Guberti V., Thulke H.‐H. (2018). http://dx.doi.org/10.2903/sp.efsa.2018.EN-1521
Elucidating transmission parameters of African swine fever through wild boar carcasses by combining spatio-temporal notification data and agent-based modelling. Lange M., Thulke H.-H. (2017). http://dx.doi.org/10.1007/s00477-016-1358-8
Simulation-based investigation of ASF spread and control in wild life without consideration of human non-compliance to biosecurity. Thulke H.-H., Lange M. (2017). http://dx.doi.org/10.2903/sp.efsa.2017.EN-1312
Lange M., Thulke H.-H. (2015). Mobile barriers as emergency measure to control outbreaks of African swine fever in wild boar. Proceedings SVEPM Ghent, 122-132.
Analysis of spatio-temporal patterns of African swine fever cases in Russian wild boar does not reveal an endemic situation. Lange M., Siemen H., Blome S., Thulke H.-H. (2014). https://doi.org/10.1016/j.prevetmed.2014.08.012
Die Helmholtz-Gemeinschaft identifiziert und bearbeitet große und vor allem drängende Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Ihre Aufgabe ist es, langfristige Forschungsziele von Staat und Gesellschaft zu erreichen. Damit sollen die Lebensgrundlagen der Menschen erhalten und sogar verbessert werden. Helmholtz besteht aus 19 naturwissenschaftlich-technologischen und medizinisch-biologischen Forschungszentren.
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Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt und erarbeiten Lösungsoptionen. In sechs Themenbereichen befassen sie sich mit Wasserressourcen, Ökosystemen der Zukunft, Umwelt- und Biotechnologien, Chemikalien in der Umwelt, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg circa 1.100 Mitarbeitende. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.
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