Für immer Homeoffice: Insolvenzrisiken würden in mehreren Branchen erheblich steigen
„Nur wenige Unternehmen dürften nach der Pandemie zum alten Präsenzmodell zurückkehren“, sagt Michael Karrenberg, Regional Director Risk Services Germany, Central, North, East Europe & Russia/CIS von Atradius. „Die vergangenen Monate haben vielen Firmen verdeutlicht, dass Homeoffice für sie besser und für mehr Aufgaben funktioniert, als sie vor der Covid-19-Pandemie dachten. Kaum ein Unternehmen erlitt hierdurch ernsthafte Produktivitätseinbußen. Durch die Zunahme des mobilen Arbeitens werden sich die Geschäftsaktivitäten aber örtlich verschieben. Das führt vor allem in den Branchen zu zunehmenden Unsicherheiten, deren Umsätze von den zahlreichen Pendlern in die Städte und den Büroarbeitern abhängen. Wie stark das Forderungsrisiko bei Geschäften mit ihnen steigt, ist von Abnehmer zu Abnehmer unterschiedlich. Langfristig wird der Prozess den Druck in mehreren Branchen jedoch insgesamt erheblich erhöhen.“
Homeoffice für alle – was passiert mit den leeren Büros?
Die seit Monaten verwaisten Schreibtische haben in vielen Unternehmen das Controlling auf den Plan gerufen, um zu analysieren, ob es in Zukunft überhaupt noch notwendig ist, für jeden Mitarbeiter einen festen Arbeitsplatz bereitzustellen und hierfür Flächen anzumieten. In vielen Fällen werden sich die Kosten als zu hoch erweisen, gerade bei großen Unternehmen belaufen sich die jährlichen Mietausgaben häufig auf mehrere Millionen Euro. In der Folge dürften zahlreiche Firmen ihre bestehenden Mietverträge in den kommenden Jahren nicht verlängern. Das wiederum wird – sofern kein profitables Nachnutzungskonzept für die leeren Flächen vorliegt – die Erträge von Büroimmobilienfonds erheblich schmelzen lassen. Leidtragende dieser Entwicklung sind außer Privatanlegern auch zahlreiche institutionelle Investoren, die auf die Anlagegewinne angewiesen sind. Zu ihnen zählen unter anderem Banken, Pensionskassen, Investment- und Kapitalgesellschaften, Versorgungswerke, Sozialversicherungsträger, Krankenkassen, Vermögensverwaltungen, Kirchen, Vereine und Stiftungen. Bei ihnen könnten teilweise erhebliche Liquiditätslücken entstehen.
Dauerhaft leere Büros hieße auch dauerhaft geringere Umsätze für Kantinenbetreiber, vor allem, weil sie dann deutlich weniger Mittagsgerichte verkaufen. Ihr Insolvenzrisiko dürfte sich bei einem solchen Szenario in relativ kurzer Zeit stark erhöhen. Auch viele Gaststätten werden dann erhebliche Liquiditätsmängel erleiden und ein hohes Forderungsrisiko darstellen.
Weiterhin würden die Unsicherheiten bei Geschäften mit der Papierindustrie zunehmen. Das Homeoffice hat auch die Digitalisierung von Büroprozessen weiter beschleunigt, vor allem Druckerpapier wird in geringeren Mengen benötigt. Dadurch verstärkt sich der Druck in dem Sektor weiter, bei dem Atradius bereits im vergangenen Jahr auf beträchtliche Insolvenzrisiken hingewiesen hatte.
Folgt dem Ende der Krawatte auch das Aus von Bekleidungsanbietern?
Die Corona-Pandemie und die Ausweitung der Arbeit von zu Hause haben auch die Zahl der Geschäftsessen und -reisen erheblich reduziert. Dienstgespräche und Verhandlungen werden vermehrt über Videokonferenzen beziehungsweise am Telefon durchgeführt, weniger bei persönlichen Treffen. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, führt das wiederum zu erhöhten Unsicherheiten bei Restaurants und auch bei Hotels, die von den Geschäftsreisenden abhängen. Darüber hinaus sinkt der Bedarf an Bürokleidung wie Anzüge, Krawatten oder Business-Kostüme. Dies wiederum wirkt sich erheblich auf Anbieter auswirken, die einen hohen Umsatzanteil mit Büromode erzielen. Unter allen deutschen Branchen bewertet Atradius die Textilbranche derzeit als diejenige mit dem höchsten Insolvenzrisiko. Die Bruttowertschöpfung dürfte in diesem Jahr um 13 % gegenüber Vorjahr zurückgehen, nachdem sie bereits in den vergangenen Jahren gefallen war.
Bei einem flächendeckenden Homeoffice-Szenario wird sich auch die Zahl Pendlerkilometer erheblich verringern. Das wiederum würde die Automobilbranche zusätzlich belasten, die sich seit rund zwei Jahren eh schon in einer schwierigen Situation mit erhöhtem Insolvenzrisiko bei zahlreichen Zulieferern befindet. Ende vergangenen Jahres bereits war Atradius von einem deutlichen Anstieg der Insolvenzen in der deutschen Automobilbranche ausgegangen. So würde sich der Druck zusätzlich erhöhen, zum Beispiel auch auf Werkstätten und Tankstellen.
Weniger Menschen in den Innenstädten heißt weniger Umsätze in den Fußgängerzonen
Auch bei den Geschäften in den Innenstädten und Fußgängerzonen würde es erhebliche Folgen nach sich ziehen, sollten ein Großteil der Menschen künftig hauptsächlich von zu Hause arbeiten. Zusätzlich schwächen würde dies vor allem jene stationären Einzelhändler, die über keinen Online-Vertriebskanal verfügen und von den Lockdown-Maßnahmen bereits schwer getroffenen wurden.
Homeoffice-Profiteure – IKT-Branche und Anbieter von Büromöbeln
Andere Branchen wiederum dürften von einer dauerhaften Homeoffice-Ausweitung profitieren. Hierzu zählt vor allem die Informations- und Kommunikationstechnologiebranche (IKT), die dann mit zusätzlichen Umsätzen durch mehr verkaufte Laptops, Handys, Telefone, Software und Datenübertragungslösungen rechnen kann. Zu den Gewinnern zählen zudem Unternehmen, die Produkte und Dienstleistungen für das eigene Zuhause anbieten, unter ihnen vor allem Möbelanbieter, da viele Homeoffice-Arbeitsplätze neu eingerichtet werden müssten.
„Das ‚neue Arbeiten‘ könnte zahlreiche, in den Städten etablierte Wertschöpfungsketten unterbrechen. Das wird sich mittelfristig auch auf das Zahlungsrisiko bestimmter Branchen auswirken“, sagt Michael Karrenberg, Regional Director Risk Services Germany, Central, North, East Europe & Russia/CIS von Atradius. „Um unseren Kunden langfristig profitable Geschäfte zu ermöglichen, beurteilen wir in der Risikoprüfung nicht nur jeden Abnehmer individuell auf Grundlage von Finanzkennzahlen und weiteren Daten, sondern beziehen auch seine Zukunftsfähigkeit mit ein. Diese wiederum hängt von der dauerhaften Wettbewerbsfähigkeit seines Geschäftsmodells und seinem Abnehmerportfolio ab.“
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