Nicht verzetteln: Erfolge der Bauernproteste können ohne vertragliche Vereinbarungen nicht nachhaltig sein
Die Milchviehbetriebe stehen an der wirtschaftlichen Existenzschwelle – denn nicht einmal über den Milchauszahlungspreis und Beihilfen für die Milcherzeugung (2,91 Cent) zusammen kann ein Durchschnitts-Milchviehbetrieb in Deutschland aktuell die reinen Kosten für die Betriebsmittel und den allgemeinen Betriebsaufwand bezahlen. Diese machten im Oktober 2020 insgesamt 37,47 Cent von den 46,69 Cent Milcherzeugungskosten aus.
Der in den Milcherzeugungskosten enthaltene Einkommensansatz für die Arbeitskosten des Familienbetriebes hat eine Höhe von 12,14 Cent und wurde auf einer Stundenbasis von 22,50 Euro inklusive Arbeitgeberanteil berechnet.
Der leichte Kostenrückgang seit Juli 2020 ist vor allem auf gesunkene Ausgaben für Energie zurückzuführen. Die Futterkosten verharren wegen der Trockenheit seit 2019 durchgehend bei rund 11 Cent pro Kilogramm auf dem höchsten Niveau seit dem Jahr 2009.
Urproduktion ist vom Kartellrecht befreit – rechtliche Möglichkeiten nutzen!
Der Vorstandsvorsitzende der MEG Milch Board Frank Lenz lässt keinen Zweifel daran, dass die Proteste der Milchbauern und -bäuerinnen gerechtfertigt sind. „Wer die aktuell von uns veröffentlichten Milcherzeugungskosten mit den Milchauszahlungspreisen vergleicht, erkennt die Schieflage auf den ersten Blick. Milcherzeugung in Deutschland ist für die meisten Betriebe ein Minusgeschäft geworden und gefährdet sie in ihrer Existenz!“ Lenz sieht die Gesprächsbereitschaft des Handels und die ersten zögerlichen Preiszugeständnisse als eindeutigen Erfolg. „In der Sache besteht eine starke Einigkeit: Die Preise müssen hoch! Über den Weg dahin wird noch diskutiert, obwohl es dazu über Jahre ausgefeilte Konzepte gibt.“ Nach den erkämpften Zugeständnissen des Handels müsse die Verhandlungsebene jetzt dringend auf die Stufe der Verarbeiter verschoben werden. Denn wenn diese bei der nächsten Preisrunde wieder einknickten, purzeln die Preise. Bei Butter habe man dies bereits in diesen Tagen schmerzhaft beobachten können.
Lenz: „Für eine nachhaltige Milchpreisgestaltung reicht es nicht mehr aus, die Preise punktuell zu verhandeln, vielmehr müssen Kontrakte für einen bestimmten Lieferzeitraum abgeschlossen werden.“ Diese legen neben dem Preis und der Laufzeit selbstverständlich auch die Liefermenge fest. Jede Preisforderung ist für den Milch Board Vorsitzenden ohne einen Mengenhebel obsolet. „Wir können fordern und verhandeln so viel wir wollen. Wenn die Menge der Nachfrage nicht angepasst ist, sind keine höheren Preise für uns zu erwarten.“ Erschreckend findet er, dass viele junge Betriebsleiter/innen über die rechtlichen Möglichkeiten, die der Gesetzgeber den Landwirten/innen hierfür an die Hand gegeben hat, nicht Bescheid wüssten. „Die Urproduktion ist vom Kartellverbot befreit. Wir dürfen uns zusammenschließen, als Vermarktungseinheit gegenüber den Molkereien auftreten und genau diese Kontrakte einfordern.“
Während bei den Privatmolkereien zumindest in der Theorie vertragliche Vereinbarungen hinsichtlich Menge und Preis bereits möglich wären, sieht Lenz immer noch eine weit offene Flanke bei den genossenschaftlich organisierten Milcherzeugern. Die 100-prozentige Andienungspflicht zerstöre jeglichen Verhandlungsspielraum für höhere Preise im Voraus. Dies habe das Bundeskartellamt im Zuge seiner Sektoruntersuchung ebenfalls kritisiert. Von der Erzeugerseite ist eine Gestaltung der Lieferbeziehungen durch einen Kaufvertrag unbedingt weiter zu verfolgen. Politische und kartellrechtliche Unterstützung wäre angesichts der desolaten Situation wünschenswert.
Für Lenz sind die folgenden drei Punkte unerlässlich für eine nachhaltige Preisgestaltung:
- Bündelung in starken Milcherzeugergemeinschaften
- Aussetzung der genossenschaftlichen Andienungspflicht
- Kontraktgebundene Milchvermarktung mit eindeutiger Festlegung des Lieferzeitraums, der Menge und des Preises.
Abschließend stellt er fest: „Den ersten und zweiten Punkt können die Bäuerinnen und Bauern ändern. Der Druck auf den Höfen ist so groß, dass es nun an der Zeit ist, das Heft selbst in die Hand zu nehmen, so schwierig es auch scheinen mag. Den letzten Punkt könnte die Politik heute noch mit der Umsetzung des Artikels 148 (Gemeinsame Marktordnung, GMO) befeuern beziehungsweise auf den Weg bringen.“
Die MEG Milch Board w. V. ist die im Jahre 2007 gegründete Erzeugerorganisation der Milchbauern in der Bundesrepublik. Grundlage ist das Agrarmarktstrukturgesetz (AgrarMSG), welches in wesentlichen Teilen Eingang in die Satzung gefunden hat. Staatlich genehmigt wurde die Gemeinschaft von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL).
Aufgabe der Erzeugerorganisation ist unter anderem die Aufstellung von Verkaufs- und Vermarktungsregeln für die Mitglieder. Ziel ist es, die Bündelung der Milchbauern weiter voranzutreiben, um diesen den Zugang zum Wettbewerb innerhalb der Lebensmittelkette zu ermöglichen. Unterstützung erfährt dieses wichtige Vorhaben durch das Bundeskartellamt (Sektorbericht Milch), die Europäische Kommission, den Rechnungshof der Europäischen Union und viele andere Organisationen. Alle befürworten die Bündelung der Milchbauern, damit diese einen die Produktionskosten deckenden Rohmilchpreis und damit ein angemessenes Einkommen erzielen können.
Besondere Satzungsaufgabe ist die Ermittlung der Produktionskosten unter Einbeziehung eines plausiblen Einkommensansatzes und unter Berücksichtigung des eingesetzten Kapitals für Boden und Pacht.
Die MEG Milch Board w. V. stellt somit ein wichtiges Instrument dar, um die Milchbauern aus der Umklammerung von privaten und genossenschaftlich organisierten Molkereien zu lösen. Letztere haben es bis heute nicht vermocht, die Wertschöpfung aus dem gelieferten Rohstoff an die Erzeuger weiterzugeben. Folge sind unzureichende Einkommen der Landwirte. Da insbesondere die Produktionskosten in den letzten Jahren exorbitant angestiegen sind, der Rohmilchpreis aber eher stagnierte, ist es zentrales Anliegen der MEG Milch Board w. V., den Milchbauern die wichtige Teilnahme am Markt zu eröffnen.
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