Löchrige Fischereikontrolle
„Anstelle eines kohärenten Regelwerks haben die Abgeordneten ein Netz mit einem riesigen Schlupfloch geknüpft. Eine faire und effektive Kontrolle der EU-Fischereiflotte bleibt Fiktion. Die EU scheitert daran, überhaupt zu erfassen, wieviel Fisch tatsächlich aus ihren Meeren gefangen wird. Wenn es nach dem Willen des Parlaments geht, wird der Schattenfang noch zunehmen“, kritisiert Stella Nemecky, Fischereiexpertin des WWF Deutschland. Bis zu 40 Prozent der tatsächlichen Fänge könnten künftig in den offiziellen Büchern fehlen, ohne dass es illegal wäre. Bei Thunfisch wären es sogar 50 Prozent. Damit würde es unmöglich den Zustand der Bestände wissenschaftlich zu erfassen und nachhaltige Fangmengen zu empfehlen. Grund dafür ist, dass das EU-Parlament die sogenannte Toleranzmarge beim Wiegen des Fangs noch ausweiten will. Die so ermöglichte Mindermeldung könnte zu einer massiven Überfischung führen und damit die Ziele des Green Deals zum Schutz der Biodiversität untergraben. Unkontrollierte Beifänge verschärfen die Problematik noch. „Fischerei ist aktuell der Haupttreiber für den Verlust von Biodiversität in unseren Meeren. Um sie umweltverträglich zu betreiben brauchen wir ein kontrolliertes Fischereimanagement, das Beifang empfindlicher Arten wie Schweinswale, Delfine und Haie verhindert.“
Ein Fortschritt ist, dass sich die Abgeordneten für eine elektronische Fernüberwachung der Fangschiffe über 12 Meter Länge ausgesprochen haben, von denen ein hohes Risiko für illegale Rückwürfe ausgeht. Nach Willen des Parlamentes sollen diese Daten jedoch nur für die Strafverfolgung genutzt werden. Damit wäre eine große Chance vertan, denn so könnten die erhobenen Daten von Fischereiwissenschaftler nicht verwendet werden, um etwa nachhaltige Fangquoten zu empfehlen, von denen auch die Fischerei direkt profitieren würde. Auch die Nutzung der Daten um Beifänge zu erfassen und zu vermeiden, soll ausgeschlossen werden. „Die Kameradaten würden ein realistisches Bild der Auswirkungen von Fischerei auf Seevögel und Meeressäuger ergeben. Wie Artenschutz ohne Kameradaten funktionieren soll bleibt unklar. Die Pflicht diese Beifänge im Logbuch zu notieren wird auch in Zukunft nicht ausreichen, um den notwendigen Schutz empfindlicher Arten zu gewährleisten“, so Nemecky weiter.
Der Beschluss des EU-Parlaments enthält aus Sicht des WWF weitere erfreuliche Aspekte. Die Abgeordneten sprechen sich für eine deutlich verbesserte Rückverfolgbarkeit innerhalb der Lieferkette aus. Das ist entscheidend um Konsument:innen eine nachhaltige Kaufentscheidung zu ermöglichen. Für begrüßenswert und überfällig hält der WWF die Regelungen für die weit verbreitete Kleinfischerei, die immerhin 75 Prozent der EU-Flotte ausmacht: Sie soll erstmals verpflichtet werden, ihre Fänge vollständig in einem elektronischen Logbuch zu notieren und künftig ein VMS-System zur automatischen Ortung und Identifizierung an Bord führen. So kann unter anderem verhindert werden, dass Fangtätigkeit in Sperrzonen und Schutzgebieten stattfindet und die Sicherheit auf See erhöht sich. Zusätzlich sollen die Mitgliedsstaaten den Zugang zu Fischereikontrolldaten laut Willen des Parlamentes deutlich verbessern – das wird der EU helfen zum Vorreiter in Sachen Transparenz im Fischereisektor zu werden.
Der heute getroffene Beschluss legt die Position fest, mit der das EU-Parlament in die Trilog-Verhandlungen mit Ministerrat und Kommission einsteigt. Für den WWF ist es entscheidend, dass die fortschrittlichen Maßnahmen in den Verhandlungen erhalten bleiben, der gigantische Rückschritt bei der Erfassung der Fangmengen korrigiert wird, um eine nachhaltige Fischerei und gesunde Meere zu ermöglichen.
Hintergrund:
Die sogenannte Fischerei-Kontrollverordnung entscheidet maßgeblich über das Gelingen der EU-Fischereipolitik. Sie legt die Instrumente fest, mit denen Fischereiaktivitäten der EU-Flotte und Fisch vom Netz bis zum Teller überwacht werden können, um Legalität zu gewährleisten. Das Gesetzespaket soll dazu dienen erschöpfte Fischbestände wiederaufzubauen und illegale Fischerei zu unterbinden.
Schon das bisherige, seit 2009 geltende, Regelwerk hat sich als unzureichend erwiesen, um die Ziele der Gemeinsamen EU-Fischereipolitik zu durchzusetzen. Bei der Neufassung drohen in zentralen Punkten sogar Rückschritte, die ein Anwachsen der europäischen Fischbestände auf eine gesunde Größe unmöglich machen könnten.
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