Jahresprogramm der Gedenkstättenstiftung steht im Zeichen der Digitalisierung
Kulturministerin Manja Schüle: „Die Erinnerung an die Shoah wird durch antisemitische Verschwörungsmythen, die Instrumentalisierung von NS-Opfern oder das Tragen von nachgebildeten Judensternen auf Corona-Demonstrationen pervertiert. Das zeigt: Antisemitismus ist kein abgeschlossenes Kapitel aus dem Geschichtsunterricht. Die antijüdische Hetze gibt es nach wie vor – offline und vor allem online, ebenso wie rassistischen und sexistischen Hass im Netz. Dabei startete das Internet einmal als Medium der Aufklärung. Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten erobert mit ihrem neuen Jahresprogramm das Internet zurück. Neue Erzählformen und virtuelle Veranstaltungen halten Geschichte am Leben und machen sie für kommende Generationen begreifbar. Dafür nutzen die Gedenkstätten sogar Spitzentechnologie der Filmuniversität Konrad Wolf in Babelsberg. So erforscht und entwickelt das Projekt ,SPUR.lab‘ 76 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg neue Erzählformen zum Thema NS-Konzentrationslager in Brandenburg. Das Jahresprogramm und die Arbeit der Gedenkstätten-Stiftung digitalisiert ihre Formate gegen das Vergessen und schafft so Partizipation. Menschen können sich beteiligen, kommentieren, einbringen – auch wenn das die wichtigen Besuche der Tatorte und die Gespräche mit Zeitzeug*innen nicht ersetzen soll und kann. Wir unterstützen die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten in diesem Jahr mit rund 3,7 Millionen Euro. Das Jahresprogramm und die Arbeit der Gedenkstätten-Stiftung informieren mit interaktiven Ausstellungen und digitalisierten Zeitzeugen-Gesprächen. Klar ist: Wir brauchen diese innovativen Angebote, denn sie helfen antijüdische Verschwörungsmythen zu widerlegen und der Pervertierung der Erinnerungsarbeit entgegenzutreten. Nur eine aufgeklärte Gesellschaft kann sich erinnern und niemals vergessen. Aktive Gedenkstättenarbeit lässt sich schließlich weder von alten Revanchisten, neuen Hetzer im Netz, antisemitischen Ideologen noch von einem Virus verhindern – und seien sie noch so hartnäckig.“
Axel Drecoll: „Durch ein vielschichtiges und multiperspektivisches Programm haben die Gedenkstätten der Stiftung Antworten auf die Herausforderungen der Corona-Pandemie gefunden. Von herausragender Bedeutung ist dabei zweifellos die Digitalisierung, die zum zentralen Ansatz von Information, Vermittlung und Diskussion geworden ist. Eindrucksvoll zeigt sich die Vielfalt der damit verbundenen Formate beim Online-Programm zum 76. Jahrestag der Befreiung, das vor wenigen Tagen begonnen hat. Ganz im Zeichen der Digitalisierung steht auch die Bildungsarbeit. Da Präsenzveranstaltungen an den historischen Orten nicht oder nur eingeschränkt möglich sind, haben die Gedenkstätten Videorundgänge, partizipative und barrierearme Angebote oder Fort- und Weiterbildungen im Online-Format entwickelt. Beim Projekt ‚Spur.lab‘ leisten wir mit unseren Partnern Pionierarbeit, indem wir uns mit Grenzen und Möglichkeiten virtuellen Erzählens an Tatorten der NS-Verbrechen beschäftigen, um im virtuellen Raum nachhaltiges historisches Lernen zu ermöglichen. Dennoch: Digitale Vermittlung kann die persönliche Begegnung am historischen Ort allenfalls partiell ersetzen und Einnahmeeinbußen durch den fehlenden Besuchsverkehr engen die Handlungsspielräume der Stiftung ein. Auch nach der Wiederöffnung der Gedenkstätten bedarf es intensiver konzeptioneller Arbeit und nachhaltiger Unterstützung, um die Gedenkstättenarbeit in Brandenburg weiterhin in der gewohnt hohen Qualität anbieten zu können.“
Die Corona-Pandemie führte 2020 zu einem starken Besucherrückgang, viele Veranstaltungen und Ausstellungen in den Gedenkstätten mussten abgesagt, verschoben oder in den digitalen Raum verlagert werden. Die Planungen für das laufende Jahr sind von der Pandemie und den damit verbundenen Unwägbarkeiten beeinflusst. Wie schon das Online-Programm zum 76. Jahrestag der Befreiung mit einer 360°-Variante der stiftungsübergreifenden Sonderausstellung „BRUCHSTÜCKE ´45“ zeigt, spielen dabei neue, digitale Angebote eine bedeutende Rolle.
In der Gedenkstätte Sachsenhausen beginnt ein umfangreiches Projekt zur Digitalisierung von Sammlungsbeständen. Hinzu kommen neue digitale Bildungsformate und inklusive Internet-Angebote. Darüber hinaus befassen sich wissenschaftliche Tagungen mit der Geschichte und Erinnerung der nationalsozialistischen Konzentrationslager, mit dem 80. Jahrestag des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion, mit Geschichtspolitik und Gedenkstätten sowie mit Bilanz und Perspektiven der Aufarbeitung der sowjetischen Speziallager. In den Gedenkstätten Sachsenhausen und Ravensbrück werden die Zielplanungen erstellt, in denen die bauliche Entwicklung für die nächsten Jahre festgelegt wird.
Seit 2020 läuft in der Gedenkstätte Sachsenhausen ein mehrjähriges Projekt zur Digitalisierung zentraler Archiv- und Sammlungsbestände und zum Ausbau der digitalen Infrastruktur. Das Projekt wurde in enger Kooperation mit der Gedenkstätte Buchenwald entwickelt und ist ein wichtiger Schritt, um die Sammlungsbestände zu sichern und einer breiten Öffentlichkeit digital zugänglich zu machen. Die Projektkosten in Höhe von rund 1,59 Millionen Euro werden zu gleichen Teilen vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert. 2020 stellte das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg dafür 125.000 Euro bereit, in diesem Jahr sind es 102.725 Euro.
Andrea Genest: „Auch wenn wir uns zum diesjährigen Jahrestag der Befreiung nicht die Hände reichen können, freuen wir uns, dass einige Überlebende uns ihre Gedanken im Videoformat zugesandt haben. Wir halten, neben einem umfangreichen digitalen Programm, die zentrale Gedenkfeier im kleinen Kreis auf dem ehemaligen Häftlingsgelände ab und streamen live, so dass alle, die wollen, daran teilnehmen können. Ein besonderes Gewicht haben wir den Stimmen der Angehörigen der ehemaligen Häftlinge gegeben. In kurzen Gesprächen und Interviews berichten sie, welchen Platz Ravensbrück in ihrem Leben eingenommen hat. Davon erzählt auch die Ausstellung ,Faces of Europe‘. Für die Bildungsarbeit in Pandemie-Zeiten entwickeln wir digitale Pilotprojekte, die perspektivisch die Arbeit am historischen Ort nicht ersetzen, jedoch sinnvoll ergänzen sollen. Wir hoffen, dass wir im zweiten Halbjahr wieder Bildungsprogramme und Veranstaltungen wie die Sommer-Universität vor Ort durchführen können.“
Sylvia de Pasquale: „Unsere Gedenkstätten machen der Öffentlichkeit 2021 vielfältige digitale Angebote. Das betrifft den 76. Jahrestag der Befreiung, aber auch die Bildungsarbeit. Wir laden Schulklassen, Auszubildende, Studierende und weitere Interessierte zu Online-Studientagen ein. Im April veröffentlichen wir auf unserer Homepage einen Porträtfilm zur Gedenkstätte Zuchthaus Brandenburg-Görden, im Mai startet eine Podcast-Serie. Mit Mitteln aus ,Neustart Kultur‘ entsteht eine barrierearme Website zur Geschichte der Euthanasie-Morde. Wir hoffen, in der zweiten Jahreshälfte wieder Gedenkstättenbesuche und Veranstaltungen vor Ort durchführen zu können. Geplant sind eine Reihe mit Filmen, in denen das Gefängnis auf dem Görden Thema ist, eine Ausstellung über Patientenmorde der deutschen Besatzer nach dem Überfall auf die Sowjetunion, die Präsentation eines Zeitzeugenprojekts, bei dem Häftlinge des DDR-Strafvollzugs interviewt werden, und eine Tagung zur Euthanasie-Geschichte.“
Ines Reich: „Ich bin froh, dass das Gedenkstättenteam die Herausforderungen der Pandemie bis jetzt gemeistert hat. Immerhin konnte trotz temporärer Schließungen rund die Hälfte der Besucher des Vorjahres in der Gedenkstätte begrüßt werden. Mit verschiedenen digitalen Angeboten wollen wir die Geschichte des sowjetischen Untersuchungsgefängnisses und der Menschen, die hier litten, auch über den Lockdown hinaus einem breiteren Publikum zugänglich machen. Seit Sommer 2020 steht auf unserer Homepage ein 360°-Rundgang durch die Dauerausstellung zur Verfügung. Dazu bieten wir regelmäßig öffentliche Online-Führungen an. Nach ersten Erprobungen werden wir den 360°-Rundgang künftig auch im Rahmen von digitalen Lernangeboten für Schülerinnen und Schüler und für Lehrerfortbildungen einsetzen.“
Die 1993 gegründete Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten betreut als rechtlich selbständige Stiftung des öffentlichen Rechts mit ihren mehr als 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Gedenkstätten in den früheren Konzentrationslagern Sachsenhausen und Ravensbrück, die Gedenkstätten für die Opfer der Euthanasie-Morde in Brandenburg an der Havel und im ehemaligen Zuchthaus Brandenburg-Görden sowie die Gedenkstätte Todesmarsch im Belower Wald als Außenstelle von Sachsenhausen. Außerdem verwaltet sie treuhänderisch die Stiftung Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße Potsdam. Aufgabe der Stiftung ist es, an Terror, Krieg und Gewaltherrschaft zu erinnern, die Auseinandersetzung der Öffentlichkeit mit diesem Thema zu fördern und ein würdiges Gedenken an die Opfer der Verbrechen der Gewaltherrschaft des NS-Regimes und der sowjetischen Besatzungsmacht und der DDR zu ermöglichen.
Das Land Brandenburg fördert die Arbeit der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten 2021 mit rund 3,7 Millionen Euro, rund 3,35 Millionen Euro kommen vom Bund. Weitere rund 215.000 Euro Landesmittel stehen für die Stiftung Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße Potsdam bereit.
Vor der Pandemiezeit haben jährlich mehr als 800.000 Gäste die Gedenkstätten der Stiftung besucht, rund 13.500 Führungen, Studientage und Workshops fanden statt.
Information: www.stiftung-bg.de
Online-Programm zum 76. Jahrestag der Befreiung: www.rememberliberation.stiftung-bg.de
Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten
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