Zwei drängende Fragen
1. Werden hohe KGVs zur Gefahr?
„Steigende Aktienkurse gehen üblicherweise mit kritischen Blicken auf das erhöhte Rückschlagpotenzial einher“, erläutert Grüner. „Überdurchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGVs) werfen aktuell vielfach die Frage auf, ob sich die Märkte nachhaltig in diesen „luftigen Höhen“ halten können.“ Es bleibe allerdings dabei: KGVs fehle es an Vorhersagekraft für die zukünftige Entwicklung der Aktienmärkte.
Nach vorne schauen
Das rückwärtsgerichtete KGV drehe sich laut Grüner um die Gewinne der letzten zwölf Monate, dynamische KGV-Anstiege wie im bisherigen Jahresverlauf könnten somit durch einen kräftigen Basis-Effekt beeinflusst werden. Das erwartete KGV für die nächsten zwölf Monate sei zukunftsorientierter, es verfehle allerdings als zuverlässiges Prognose-Tool ebenso seine Wirkung. „Die Gewinnschätzungen der Analysten haben sich insbesondere in der jüngsten Marktphase als viel zu gering erwiesen“, so Grüner. „Im ersten Quartal 2021 konnten 86 Prozent der Unternehmen im S&P 500 die Gewinnerwartungen schlagen, die aggregierten Gewinne lagen verblüffende 22,5 Prozent über dem Konsens der Analysten-Schätzungen.“ Und zu niedrig angenommene Gewinne sorgten im Kurs-Gewinn-Verhältnis schlussendlich für eine Verzerrung des KGVs nach oben. Zudem gehörten KGVs zu den meistbeachteten Kennzahlen. Frei zugängliche Daten und die kritische Überwachung sprächen eindeutig dafür, dass die Vorhersagekraft der KGVs stark begrenzt ist. „Immerhin lässt sich an den übergeordneten Trends ablesen, dass beispielsweise Anleger im reifen Bullenmarkt bereit sind, mehr für zukünftige Gewinne zu bezahlen – eine typische KGV-Expansion ist jedoch kein echtes Warnsignal“, so Grüner.
2. Wird die Fed-Politik zur Gefahr?
„Die Fed-Sitzung im Juni 2021 rief bei vielen Anlegern große Besorgnis hervor“, sagt Grüner. Folglich stelle sich die Frage, ob den Märkten eine restriktivere Geldpolitik bevor stehe. Zumindest hätten die 18 Mitglieder des Fed-Komitees mit ihren Zinsprognosen durchblicken lassen, dass sich die Erwartungshaltung an steigende kurzfristige Zinsen festigt. Aktuell läge der Fed-Leitzins zwischen 0% und 0,25% und es erwarte weiterhin kein Fed-Mitglied, dass sich dies bis zum Jahresende ändern werde. „Im Vergleich zur Fed-Sitzung im März stieg jedoch die Erwartungshaltung an steigende Zinsen bis zum Jahresende 2022 (sieben statt vier Mitglieder) und zum Jahresende 2023 (13 statt sieben Mitglieder) spürbar an“, sagt Grüner.
„Bedeutet dies einen markanten Wendepunkt? Daran haben wir starke Zweifel“, so Grüner. Die Meinungen der Fed-Mitglieder änderten sich regelmäßig, basierend auf neuen Daten und einer Überprüfung der vorangegangen Statements. Angesichts der hohen Volatilität in den Wirtschaftsdaten der letzten Monate sei anzunehmen, dass die Fed selbst nicht allzu viel Vertrauen in ihre Prognosen für 2022 und darüber hinaus setze. Zudem werde sich die personelle Zusammensetzung des Fed-Komitees vor Jahresende 2022 noch ändern, selbst Jerome Powell könne seinen Posten verlieren, wenn er von Joe Biden nicht wiederernannt werde. Ist die aktuelle Meinung dieses Komitees also ein verlässliches Prognose-Tool für die tatsächliche Notenbankpolitik der nahen Zukunft? Grüner zufolge eindeutig nicht.
Fazit
„Hohe KGVs und eine restriktivere Zentralbankpolitik gehören zu den oft genannten Gründen, warum den Aktienmärkten in naher Zukunft die Luft ausgehen könnte“ sagt Grüner. Eigentlich sei es ein gutes Zeichen, dass sich derartige Sorgen in den Köpfen vieler Anleger breit machen können. „Denn erst wenn die Mauer der Angst komplett abgearbeitet ist und sich keiner mehr mit lästigen Themen wie Bewertungskennzahlen oder Zentralbankpolitik beschäftigen will, wird eine flächendeckende Euphorie zur echten Gefahr.“
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