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Ächtung von Atomwaffen ist Einsatz für Menschenrechte und den Schutz der Umwelt

Das epochale Gutachten des Internationalen Gerichtshofs zur Rechtswidrigkeit von Atomwaffen ist nach 25 Jahren aktueller denn je, sagen Otto Jäckel und Amela Skiljan von IALANA Deutschland aus Anlass des 25. Jahrestags der Veröffentlichung des Gutachtens am 08. Juli 1996.
Der Einsatz von Atomwaffen und schon die Drohung damit stehen generell im Widerspruch zu den in einem bewaffneten Konflikt verbindlich anzuwendenden Regeln des internationalen Rechts, insbesondere den Regeln des humanitären Völkerrechts. Dies ist die zentrale Erkenntnis des wichtigsten Rechtsprechungsorgans der Vereinten Nationen mit Sitz in Den Haag.

Eine Initiative der Zivilgesellschaft

Zur Erstattung des Gutachtens beauftragt worden war der IGH durch eine Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 1994. Diesem Beschluss vorausgegangen war eine zivilgesellschaftliche Kampagne, initiiert von IALANA, IPPNW und dem von Bertha von Suttner gegründeten Internationalen Friedensbüro IPB, der sich weltweit über 2.000 Initiativen angeschlossen hatten und die dem Gericht im Friedenspalast von Den Haag über eine Million Unterschriften übergab.

Atomwaffenfreie Zonen und UN-Resolutionen

Das Gericht hatte sich bei seiner Untersuchung zunächst mit den bestehenden internationalen Verträgen und UN-Resolutionen beschäftigt, die sich mit Atomwaffen befassen und war zu dem Ergebnis gekommen, dass noch keine vertraglichen oder gewohnheitsrechtlichen Regeln bestünden, nach denen der Einsatz von Atomwaffen in jedem Fall erlaubt oder verboten sei. Ein Verbotsvertrag wie für biologische oder chemische Massenvernichtungswaffen bestand zu dieser Zeit noch nicht. Wegen der regionalen Begrenztheit der Verträge von Tlatelolco, Rarotonga, Bangkok und Kairo über die Errichtung von atomwaffenfreien Zonen in Südamerika, im Südpazifik, in Südasien und in Afrika sowie wegen der Gegenstimmen gegen die Vielzahl von Resolutionen in der Generalversammlung der Vereinten Nationen, mit denen die Atomwaffenmächte zur Abrüstung aufgefordert worden sind, könne noch nicht von einer allgemeinen Rechtsansicht (opinio juris) gesprochen werden, wonach Atomwaffen per se rechtswidrig seien.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der militärischen Mittel

Das Gericht hatte sich sodann den im bewaffneten Konflikt einzuhaltenden Regeln der Charta der Vereinten Nationen und des humanitären Völkerrechts zugewandt und folgendes festgestellt. Das Recht auf Notwehr in Art. 51 UN-Charta, wonach jeder Staat das Recht hat, sich gegen einen bewaffneten Angriff zur Wehr zu setzen, bis der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sich der Sache angenommen hat, unterliege bestimmten Einschränkungen, die sich aus den Grundsätzen der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit ergeben. Es gibt eine besondere gewohnheitsrechtliche Regel, wonach nur Maßnahmen gerechtfertigt sind, die zu dem bewaffneten Angriff im Verhältnis stehen und notwendig sind, um ihm zu begegnen (Ziffer 41 des Gutachtens).

Die Regeln des humanitären Völkerrechts

Darüber hinaus muss nach Ansicht des IGH jede der Verteidigung dienende Gewaltanwendung zugleich die für bewaffnete Konflikte verbindlichen Bedingungen des humanitären Völkerrechts erfüllen. Dazu zählen insbesondere das „Haager Recht“ über die Gesetze des Landkriegs, das die Mittel und Methoden beschränkt, den Feind in einem internationalen bewaffneten Konflikt zu schädigen, das „Genfer Recht“, das die Kriegsopfer schützt und darauf abzielt, das Leben kriegsunfähiger Angehöriger der Streitkräfte und unbeteiligter Personen zu schützen und schließlich das Recht, mit dem die Anwendung bestimmter Waffen wie erstickende Gase, Dumdum-Geschosse, die sich im Körper aufpilzen, biologische und chemische Waffen und Anti-Personen-Landminen verboten werden. Im Ergebnis gelangte er zu der Feststellung, dass Atomwaffen generell gegen das Humanitäre Völkerrecht verstoßen, weil deren Waffenwirkung nicht zwischen Kombattanten und Zivilisten unterscheidet, sie durch ihre radioaktive Strahlung unnötige Qualen verursachen und zu Schäden an der Umwelt und den Lebensgrundlagen der Menschen für zukünftige Generationen führen.

Das Neutralitätsgebot

Zudem verstoßen Atomwaffen gegen das Neutralitätsgebot, wonach das Territorium neutraler Mächte unantastbar ist, wie es schon in Artikel 1 des Haager Übereinkommens über die Rechte und Pflichten  neutraler Mächte und Personen im Falle der Landkriegführung von 1907 hieß. Der Gerichtshof stellte klar, dass dieses Neutralitätsprinzip sich auch auf Schäden bezieht, die durch den Waffeneinsatz in einem kriegführenden Land  verursacht werden.

Eine fiktive Zusatzfrage der Atommächte, die der IGH unbeantwortet ließ

Die Nuklearmächte berufen sich stets darauf, dass der IGH im Tenor seines Gutachten auch erklärt hat, er könne angesichts der gegenwärtigen Lage des Völkerrechts und angesichts des ihm zur Verfügung stehenden Faktenmaterials nicht definitiv die Frage entscheiden, ob die Androhung oder der Einsatz von Atomwaffen in einer extremen Selbstverteidigungssituation, in der die Existenz eines Staates auf dem Spiel stünde, rechtmäßig oder rechtswidrig wäre. Aus dem Kreis der Atomwaffenstaaten war argumentiert worden, dass der Einsatz von Atomwaffen in einer extremen Notwehrsituation jedenfalls dann erlaubt sein müsse, wenn es sich bei den eingesetzten Atomwaffen um „saubere“ Atomwaffen mit niedriger Sprengkraft handele. Die Aussage des Gerichts hierzu war der Tatsache geschuldet, dass nach der Feststellung des IGH keiner der Staaten, die für die Rechtmäßigkeit der Anwendung von Atomwaffen eintreten, in dem Verfahren näher ausgeführt hatte, welche die genauen Bedingungen eines solchen ausnahmsweise zulässigen Einsatzes sein sollten und welche Eigenschaften angeblich „saubere“ Atomwaffen haben könnten.

Keine offene Hintertür für Nuklearmächte

Wie der seinerzeitige Präsident des IGH, Mohammed Bedjaoui, in einer Besprechung des Gutachtens erklärte, bekundete der Gerichtshof mit dieser Passage lediglich seine fehlende Information über die von den Atomwaffenstaaten behauptete mögliche Entwicklung von „sauberen“ Atomwaffen. Nach seiner Überzeugung sei gerade die bei der Explosion von Atomwaffen freigesetzte radioaktive Strahlung die typische Eigenschaft von Atomwaffen, die gegen das humanitäre Völkerrecht verstoße. „Saubere“ Atomwaffen, die keine radioaktive Strahlung verursachten, seien eben keine Atomwaffen mehr. Entscheidend bleibt somit, dass der IGH in den Gründen seines Gutachtens wiederholt betont hat, Notwehr sei nur mit Waffen erlaubt, deren Anwendung den Prinzipien und Regeln des humanitären Völkerrechts nicht widersprechen; der IGH hat erklärt, dass das Notwehrrecht nach Art. 51 UN-Charta durch das humanitäre Völkerrecht eingeschränkt ist, „welche Mittel der Gewalt auch eingesetzt werden.“ Damit ist Notwehr mit Atomwaffen grundsätzlich völkerrechtlich verboten, weil diese nach dem gegenwärtigen Stand der Waffentechnik nicht zwischen Zivilisten und Kombattanten unterscheiden, vor allem durch ihre radioaktive Strahlung unnötige Qualen verursachen, die Umwelt und die Grundlagen zukünftigen Lebens zerstören und neutrale Staaten grenzüberschreitend in Mitleidenschaft ziehen. Zudem kann durch die ausdrückliche Erklärung des IGH, dass er über den Einsatz von Atomwaffen in einem bestimmten Szenario unter bislang unbekannten Bedingungen keine Entscheidung treffe, nicht der Schluss gezogen werden, er habe diese Frage in dem Sinne beantwortet, der Einsatz in diesem Szenario sei völkerrechtlich zulässig. Eine Frage offen zu lassen heißt eben gerade nicht, sie zu bejahen.

Die doppelte Pflicht, in gutem Glauben zu verhandeln und mit dem Ergebnis der vollständigen atomaren Abrüstung abzuschließen

Einstimmig vertrat der Gerichtshof schließlich die Rechtsauffassung, aus Artikel 6 des Nichtverbreitungsvertrags und aus den Regeln des humanitären Völkerrechts ergebe sich die Verpflichtung, Verhandlungen in gutem Glauben fortzusetzen und abzuschließen, die zu atomarer Abrüstung in allen ihren Aspekten unter strikter und effektiver internationaler Kontrolle führen.

Der Atomwaffenverbotsvertrag, die Bundesregierung und die „nukleare Teilhabe“

Die Tatsache, dass die Atommächte sich beharrlich weigern, ihrer Pflicht zur Verhandlung über eine vollständige nukleare Abrüstung nachzukommen, führte erneut die Zivilgesellschaft auf den Plan. Die Internationale Kampagne gegen Atomwaffen ICAN initiierte erfolgreich die Verhandlungen über den Abschluss eines Atomwaffenverbotsvertrags unter der Ägide der Vereinten Nationen. Der Vertrag trat am 22. Januar 2021 in Kraft. Die noch im Amt befindliche Bundesregierung folgte dem Aufruf der US-Regierung an alle NATO-Staaten, sich nicht daran zu beteiligen. In dem Jahresabrüstungsbericht 2020 von Außenminister Maas vom 04. Mai 2021 lesen wir dazu auf Seite 22: „Der Atomwaffenverbotsvertrag ist mit Deutschlands bündnispolitischen Verpflichtungen und insbesondere mit der nuklearen Teilhabe in der NATO unvereinbar“.

Dabei ist bezeichnend, dass die Bundesregierung in ihrem Bericht die Regeln des humanitären Völkerrechts in richtiger Weise präzise benennt, wenn es z.B. um das VN-Waffenübereinkommen geht, das das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes konventioneller Waffen zum Gegenstand hat, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können (S. 40), bezüglich des Einsatzes von Atomwaffen diese Regeln jedoch völlig ignoriert.

Damit geht einher, dass die Bundesregierung sich mit den Jagdfliegern der Bundesluftwaffe auch im kommenden Herbst wieder an der Atomkriegsübung „Steadfast Noon“ beteiligen will.

Diese Haltung der Bundesregierung befindet sich im offenen Widerspruch zu ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen. Eine Auseinandersetzung der Bundesregierung mit dem humanitären Völkerrecht in der höchstrichterlichen Interpretation durch den IGH findet nicht statt. Wenn ihre Vertreter darauf angesprochen werden, flüchten sie sich im Zweifel mit dem Argument, Atomwaffen seinen ja nur „politische Waffen“, die niemand anwenden wolle, aus der Diskussion. Eine öffentliche Debatte  hierzu ist überfällig. Initiator dieser Debatte wird wiederum die Zivilgesellschaft sein müssen, so Otto Jäckel und Amela Skilian abschließend.

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