Mikrotechnik

Europas geballte Mikrosystemtechnik-Kompetenz trifft sich in Freiburg

Über 70 Expert:innen aus ganz Europa trafen sich vom 4. bis 7. Oktober in Freiburg zum diesjährigen EPoSS Annual Forum mit dem Motto „New Horizons“. Organisiert wurde es vom EPoSS Büro in Berlin mit Unterstützung der Vor-Ort-Partner Hahn-Schickard und microTEC Südwest. Nach der letztjährigen Online-Veranstaltung nutzen die Teilnehmenden die Gelegenheit, sich wieder persönlich auszutauschen und über aktuelle Themen vom Green Deal bis zur Künstlichen Intelligenz zu diskutieren.

Einblicke und Ausblicke zur Mikrosystemtechnik und Electronic Components and Systems

Nach den EPoSS-internen Arbeitskreistreffen sowie der jährlichen Mitgliederversammlung startete der öffentliche Teil der Konferenz am Dienstag mit einer namhaft besetzten Begrüßung: Dr. Stefan Finkbeiner von Bosch Sensortec eröffnete als EPoSS Chairman und microTEC Südwest-Vorstand die Veranstaltung offiziell. Dabei erläuterte er die neu geordnete europäische Electronic Components and Systems (ECS) Landschaft mit Horizon Europe als aktuellem Rahmenprogramm zur Forschungsförderung sowie XECS als neuem Eureka-Cluster. Finkbeiner zeigte zukünftige Trends auf, in denen diese miniaturisierten Systeme eine Schlüsselfunktion innehaben, wie bei virtuellen und erweiterten Realitäten (virtual and extended realities VR/XR), die in intelligenten Brillen Eingang finden, um z.B. Wegbeschreibungen auf die Gläser zu projizieren. Die extrem geringe Größe der Systeme ermöglicht außerdem, Sensoren breit zu verteilen und so Wälder zu überwachen und frühzeitig vor Feuer zu warnen. Prof. Alfons Dehé, Institutsleiter von Hahn-Schickard, bestärkte diese Zukunftstrends und sieht Mikrosensorik als zentrales Element für zahlreiche Anwendungen im Bereich Gesundheit, Hören und Sehen.

Vom Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg hieß Günther Leßnerkraus die Teilnehmenden im „Ländle“ herzlich willkommen und wies auf die hervorragende Infrastruktur sowie die Unterstützungsmöglichkeiten im Land hin. Dr. Stefan Mengel vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zeigte die Stärken und Schwächen Deutschlands im internationalen Vergleich auf. Die führende Rolle in Leistungselektronik, Sensorik, EUV-Technologie und Smart Systems Integration soll gehalten werden, der Wettbewerb in Wissenschaft und Forschung sowie Sicherheitselektronik, Chipdesign und spezialisierter Mikrocontroller weitergetrieben sowie die Abhängigkeit durch disruptive Innovation, Fokussierung auf Design und Packaging reduziert werden. Die Programme, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen, sind u.a. das Mikroelektronik Rahmenprogramm mit Bekanntmachungen im November 2021 für das digitale Auto oder für Elektroniksysteme für vertrauenswürdige und energieeffiziente dezentrale Datenverarbeitung im Edge-Computing (OCTOPUS, Einreichung bis 15.01.2022) und der IPCEI 2.

Henri Rajbenbach, DG Connect der EU Kommission, wies auf zwei Calls im Umfeld Electronics und Photonics hin: 2021 Digital Emerging 01-31 zu Functional Electronics for Green and Circular Economy sowie 2022 Digital Emerging 01-03 zu Advanced Multi-Sensing Systems. Yves Gigase von ECSEL machte auf den ersten Call im Dezember 2021 aufmerksam und Nadja Rohrbach von XCES auf die erste Einreichungsfrist am 25.02.2022.

Neue Horizonte mit funktioneller Elektronik

Zahlreiche Anknüpfungspunkte für die Fachgruppenarbeit Drucktechnologien von microTEC Südwest wies der Themenblock zu Funktioneller Elektronik auf. Petra Weiler präsentierte Ergebnisse aus dem 5e-Projekt (www.5e-project.eu), die verdeutlichen, welche Rolle diese neuen Technologien für die digitale Transformation Europas haben. Neben vier „Vision Papers“ wurde eine Definition für funktionelle Elektronik entwickelt sowie 15 2 Empfehlungen gegeben. Weitere Vorträge zum Thema wurden von microTEC Südwest-Mitgliedern gehalten, wie z.B. von Tim Wolfer, Continental, zu vertrauenswürdiger Elektronik, Zeba Khan, Universität Freiburg, zum hybriden 3D-Druck von Polymeren und Lot sowie Björn Albrecht, IMS CHIPS, zur Chip-Film Patch Technologie.

Immer im Visier – Start-ups

Zur Begrüßung der Abendveranstaltung führte die Geschäftsführerin der Freiburger Wirtschaft Touristik und Messe, Hanna Böhme, in die Geschichte der Lokhalle ein und informierte über die heutige Nutzung für Coworking und Start-ups. So klang der Konferenztag beim Netzwerken im Kreativpark Lokhalle in lockerer Atmosphäre aus. Am Mittwoch standen dann die Start-ups auch beim EPoSS Annual Forum im Fokus. Die Finalisten des EPoSS Start-up-Awards 2021 präsentierten ihre Geschäftsidee und wurden durch die Fragen der Jury, Albrecht Donat (EPoSS Executive Committee und Siemens AG), Petra Weiler (VDI/VDE-IT), Norman Kachel (B. Braun Melsungen) und Thomas Scheuerle (BadenCampus), auf Herz und Nieren geprüft. Vom intelligenten Mobilitätskonzept über eine smarte Lösung zur Bewässerung von Bäumen in Städten bis hin zur „Energy Carrot“, einem innovativen, automatisierten Datensammlungssystem, sowie zu refraktiven, adaptiven optischen Systemen für Mikroskope reichte das Spektrum der Jungunternehmer:innen. In feierlichem Rahmen wurden abends im Historischen Kaufhaus die Preise verliehen. Allen Finalisten, Awatree, Evolvo, Hype und Phaseform wurden Gutscheine zur Anmeldung der Smart Systems-Marke überreicht. Ausgezeichnet mit der Start-up-Trophäe wurde das Freiburger Start-up Phaseform, das sich sehr über den Preis freute.

Breite Vielfalt am zweiten Konferenztag: Von dezentraler Künstlicher Intelligenz über Gesundheit zu Umweltthemen

Vielfältige Anwendungen von Mikrosystemen für die Diagnostik und die Medizintechnik wurden durch die Vortragenden aufgezeigt. Nadine Borst von Hahn-Schickard stellte eine mobile Diagnostikplattform vor, die perspektivisch zur Vor-Ort-Diagnostik zur verbesserten Wundversorgung eingesetzt werden kann. Für die Überwachung der Hydrierung durch die Vermessung von Schweiß präsentierte Cecilia Jimenez-Jorquera vom CSIC aus Spanien hybride, tragbare Multisensorpflaster.

Im Themenblock Nachhaltige Umwelt betonte Andreas Middendorf vom Fraunhofer IZM in Berlin, dass eine Lebenszyklusanalyse nicht ausreichend ist, um den Forderungen nach einer klimaneutralen Umwelt gerecht zu werden. Vielmehr muss über den Tellerrand geschaut werden, um ganzheitliche Lösungen zu entwickeln. Einen Schritt zu mehr Umweltverträglichkeit geht Steffen Kurth vom Fraunhofer ENAS in Chemnitz, der gedruckte, bio-abbaubare leitfähige Sensoren entwickelt. Welchen Einfluss elektronische Systeme auf den Klimawandel, die natürlichen Ressourcen und die Biodiversität haben, verdeutlichte Patrick Blouet von ST Microelectronics. So hat sich die Task Force Green ECS von EPoSS folgenden Aufgaben verschrieben: Abfallmanagement, Bewertung von Elektronik, Aufbereitung von bestehenden Produkten, Erfassung des Umwelteinflusses von (Mikro-) Elektronik vom Design bis zum Lebensende sowie die Entwicklung von Regeln für ein einfacheres Recycling von Elektroniksystemen.

Den fachlichen Abschluss der Konferenz bildete das Thema Edge AI, also dezentrale künstliche Intelligenz. Wichtige Trends dazu wurden im EPoSS AI Whitepaper zusammengetragen und von Kay Bierzynski von Infineon vorgetragen, wie z.B. Vertrauen in und Erklärbarkeit von KI, dezentrales Lernen sowie funktionale Sicherheit – gerade auch gegen feindliche Angriffe. Technologisch geht es dabei um neuromorphe Konzepte, hybrides Modellieren, aber auch Memristoren. Deutlich wurde, dass der Energieverbrauch ein kritischer Faktor ist und der Mehrwert von KI herausgearbeitet werden muss und kein Selbstzweck ist.

Einblicke in die angewandte Forschung und Entwicklung

Drei Freiburger Forschungseinrichtungen öffneten am Donnerstag ihre Türen für die Konferenzteilnehmenden: Das Fraunhofer IPM, Hahn-Schickard und IMTEK führten jeweils zwei Gruppen von Interessierten durch ihre Räumlichkeiten. So konnte bei Hahn-Schickard die Lab-on-a-chip-Fertigung besichtigt werden, wo unter anderem die Corona-Schnelltests für die Ausgründung Spindiag hergestellt werden. Beim IMTEK bot sich ein Blick in die Reinräume, in denen Mikrosensoren, -aktuatoren und -optiken entwickelt werden. Das Fraunhofer IPM empfing die Gäste in seinem neuen Institutsgebäude auf dem Campus der technischen Fakultät.

Über den microTEC Südwest e.V.

Der Spitzencluster microTEC Südwest ist das Kompetenz- und Kooperationsnetzwerk für intelligente Mikrosystemtechniklösungen für Europa und der Ansprechpartner für Mikrosystemtechnik in Baden-Württemberg. Der zentrale Service für die Mitglieder sind technologisch und anwendungsbezogene Fachgruppen, in denen microTEC Südwest seine Kompetenzen bündelt, um gemeinsam Innovationen auf dem Gebiet der Mikrosystemtechnik hervorzubringen. Als Bindeglied zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik unterstützt microTEC Südwest die Mitglieder bei Fördervorhaben und der damit verbundenen Partnervermittlung.

Der Spitzencluster microTEC Südwest ist eines der größten Technologie-Netzwerke in Europa. Im Bereich der Anwendungen fokussiert das Clustermanagement seine Arbeit derzeit auf zwei Felder: Gesundheit (Smart Health) und Produktion (Smart Production), kann aber durchaus auch in anderen Bereichen, wie z. B. Mobilität, Energie, Textilien und smarte Home-Lösungen aktiv werden.

Die mehr als 110 Mitglieder des Fachverbands kommen aus Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Hochschulen. Darunter finden sich Global Player wie Bosch, Festo, Roche Diagnostics, ABB, Zeiss, Endress Hauser, Sick, Balluff und Testo sowie viele innovative klein- und mittelständische Unternehmen. Zu den Forschungseinrichtungen zählen die Institute der Innovationsallianz Baden-Württemberg (innBW) sowie verschiedene Fraunhofer-Institute. Im Bereich der Hochschulen und Universitäten finden sich unter anderem das Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK) der Universität Freiburg sowie das Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

Der Cluster erfüllt die Exzellenzkriterien der Europäischen Cluster Excellence Initiative (ECEI) und wurde mit dem Gold-Label ausgezeichnet.

Das komplette Service-Angebot von microTEC Südwest finden Sie unter: www.microtec-suedwest.de

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