Kinder gestalten ihre Welt
230 Gäste, vorwiegend Nominierte aus dem In- und Ausland, konnten am 22. Oktober 2021 auf der Frankfurter Buchmesse live dabei sein, als die Gewinnerinnen und Gewinner des Deutschen Jugendliteraturpreises verkündet wurden. Tausende weitere verfolgten die Preisverleihung parallel im Livestream. Die diesjährigen Siegertitel zeigen die kindliche Perspektive auf und in die Welt – unvoreingenommen und wertneutral – und ermutigen mit autonomen Protagonistinnen und Protagonisten zu kreativen Problemlösungen. Im Fokus der Sonderpreise steht die Übersetzung.
Sieger in der Sparte Bilderbuch ist Unsichtbar in der großen Stadt (Aladin) des kanadischen Autors und Illustrators Sydney Smith, in Bernadette Otts Übersetzung aus dem Englischen. Voller verborgener Andeutungen erzählt es die Geschichte eines Kindes, das an einem Wintertag allein durch die Großstadt streift. Dabei spricht es mit einem rätselhaften "Du", das sich den Lesenden erst am Ende des Buches erschließt. Virtuos nutzt Smith eine Fülle an Gestaltungsmöglichkeiten und erschafft eine Atmosphäre, die man mit allen Sinnen wahrzunehmen scheint.
Als bestes Kinderbuch überzeugte Marianne Kaurins vielschichtiger Roman Irgendwo ist immer Süden (Woow Books). Während ihre Mitschülerinnen und Mitschüler großartige Reiseziele ansteuern, verbringen Vilmer und Ina die Sommerferien in ihrer Sozialsiedlung. Doch durch die Entdeckung eines geheimen Ortes gelingt es den beiden, sich ihren eigenen "Süden" zu zaubern. Eindrucksvoll wird das kindliche Spiel als autonomer Zwischenraum inszeniert, in dem die Kinder wachsen und für die Realität gestärkt werden. Franziska Hüther hat die sensible Sprache und den doppelbödigen Humor aus dem Norwegischen übertragen.
Als Preisbuch in der Sparte Jugendbuch konnte sich die ergreifende Graphic Novel Sibiro Haiku (Baobab Books) durchsetzen. In stiller, eindringlicher Sprache erzählt Jurga Vilė aus der Perspektive des 13-jährigen Algis die Deportation litauischer Familien in ein Lager in Sibirien im Jahre 1941. Saskia Drude hat den Text gekonnt aus dem Litauischen übersetzt. Im Zusammenspiel mit Lina Itagakis variationsreichen Illustrationen entsteht ein poetisches Gesamtkunstwerk, das das Leiden der Deportierten ebenso wie ihr von Solidarität und unbedingtem Lebenswillen geprägtes Miteinander schildert.
Gewinner beim Sachbuch ist 100 Kinder (Gabriel) von Christoph Drösser, illustriert von Nora Coenenberg. Mit den titelgebenden 100 Kindern beleuchten die beiden exemplarisch das Leben und die Lebensumstände der rund zwei Milliarden Kinder weltweit, benennen Unterschiede und Gemeinsamkeiten, sprechen Probleme und Ungerechtigkeiten an und wissen Kurioses zu berichten. In einer klug abgestimmten Kombination aus Texten, Illustrationen und Infografiken regt das Gedankenexperiment zum Hinterfragen an, lässt staunen und macht neugierig auf die Welt und ihre jüngsten Bewohnerinnen und Bewohner.
Das Preisbuch der Jugendjury After the Fire (dtv Reihe Hanser) rückt ein wenig beachtetes Thema in den Mittelpunkt. Auf zwei Zeitebenen erzählt der britische Autor Will Hill die Geschichte der 17-jährigen Moonbeam, die in einer Sekte aufwächst und erst durch einen verheerenden Brand in der Basis der "Legion Gottes" den Weg in die Welt "Draußen" findet. In Gesprächen mit Psychotherapeuten und dem FBI blickt sie zurück auf die traumatisierenden Erlebnisse ihrer Vergangenheit und beginnt Fuß zu fassen in einer ihr unvertrauten Welt.
Der Sonderpreis Gesamtwerk geht an Gudrun Penndorf. Mit ihr zeichnet die Sonderpreisjury erstmals eine Übersetzerin von Comic-Literatur für ihr Lebenswerk aus. "Penndorfs phänomenale sprachschöpferische Leistung, insbesondere der Übertragungen von Asterix und Lucky Luke (1968 bis 1991), kann gar nicht genug gepriesen werden", erklärte die Sonderpreisjury, "ihre kreativen Umbenennungen des Comicpersonals, ihr akribischer Rechercheeifer, ihre treffenden Wortspiele setzen bis heute Maßstäbe für das Übersetzen – nicht nur von Comics."
Der Auszeichnung für das Lebenswerk steht der Sonderpreis "Neue Talente" gegenüber. Gewinnerin ist Lena Dorn, deren Frühwerk klar aus der Masse der Veröffentlichungen herausragt. Die Sonderpreisjury lobte sie als „Sprachzauberin, die mit ihrer Übersetzung aus dem Tschechischen von Tippo und Fleck (Karl Rauch) eine beeindruckende sprachspielerische Begabung beweist.“
Stifter des Deutschen Jugendliteraturpreises ist das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ausrichter der Arbeitskreis für Jugendliteratur. Die Auszeichnung wird seit 1956 für herausragende Kinder- und Jugendbücher vergeben und ist mit insgesamt 72.000 Euro dotiert. Bis auf den Sonderpreis Gesamtwerk in Höhe von 12.000 Euro sind alle weiteren Auszeichnungen mit einem Preisgeld von 10.000 Euro verbunden. Zudem erhalten alle Preisträgerinnen und Preisträger eine Skulptur: die bronzene Momo.
Für ihre freundliche Unterstützung danken wir der Frankfurter Buchmesse.
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