Rennen zur Klimaneutralität hat begonnen: Erste Staaten gehen voran
- Skandinavische Länder sowie Staaten wie Großbritannien und Marokko führen beim „Race to zero“
- Deutschland verbessert auf Rang 13 – nach schwachen Platzierungen seit 2013
- Australien, Südkorea und Russland gehören zu größten Bremsern in einer Kategorie mit Kasachstan und Saudi-Arabien als Schlusslichter
- Niederlande und Griechenland größte Aufsteiger – Kroatien, Belarus und Algerien stürzen ab
Skandinavien zeigt der Welt, wie ambitionierter Klimaschutz funktioniert. Im heute vorgestellten Klimaschutz-Index von Germanwatch und NewClimate Institute belegen Dänemark, Schweden und Norwegen vor allem dank großer Fortschritte bei den Erneuerbaren Energien und guter Klimapolitik die Ränge 4 bis 6. Die Plätze 1 bis 3 bleiben erneut frei, da sich noch kein Land tatsächlich auf einem 1,5 Grad-Pfad befindet. Die drei genannten sind dazu aber in Reichweite.
„Wir stehen am Anfang des Jahrzehnts, in dem es vor allem um die Umsetzung der gesetzten Klimaziele geht. Dänemark, Schweden und Norwegen machen da ähnlich wie Großbritannien und Marokko vieles besser als der Rest der Welt“, sagt Prof. Niklas Höhne vom NewClimate Institute, einer der Autoren des Index. „Unser Index zeigt auch, dass das Wettrennen zu Null Treibhausgasemissionen begonnen hat. Ob Deutschland da zur Spitzengruppe vorstoßen kann, muss sich noch zeigen.“
Deutschland ist mit Rang 13 so gut platziert wie seit acht Jahren nicht mehr. „Auf die Frage, wie Deutschland seine Klimaziele tatsächlich erreichen will, hat die Politik allerdings noch keine ausreichenden Antworten gegeben“, gibt Mitautor Jan Burck von Germanwatch zu bedenken. „Alle Prognosen für dieses Jahr sagen voraus, dass wir uns nach dem Rückgang der Corona-Einschränkungen wieder deutlich unterhalb des Klimaziels für 2020 befinden. Zudem zeigt der gerade vorgelegte Projektionsbericht für die Bundesregierung, dass Deutschland mit den bisher beschlossenen Klimaschutzmaßnahmen seine gesetzlich vorgeschriebenen Ziele für 2030 krachend verfehlen wird. Es ist die Feuerprobe für die neue Bundesregierung, ob sie mit einem Sofortprogramm die Weichen auf Zielerreichung stellt.“
Nationale Klimapolitik bisher großer Schwachpunkt bei Deutschland
Die um sechs Ränge verbesserte Platzierung Deutschlands ist vor allem auf recht gute Trends bei den Emissionen (vor der Corona-Pandemie) und das verbesserte Emissionsziel zurückzuführen. Problematisch ist hingegen das hohe Emissionsniveau pro Einwohner, der zuletzt massiv stockende Ausbau der Erneuerbaren Energien (Rang 28 – drei Kategorien „mäßig“, beim bisherigen Ausbauziel für 2030 sogar „schwach“) und die als „schwach“ bewertete nationale Klimapolitik – eine Folge der bisher nicht ausreichenden Umsetzungspläne für die verbesserten Klimaziele.
Thea Uhlich von Germanwatch, Co-Autorin des Index: „Das aktuelle Wiederhochschnellen der Emissionen in Deutschland macht die Herausforderung noch größer. Wir brauchen unter der neuen Bundesregierung ein 100-Tage-Programm gleich zu Beginn der Amtszeit und dann ernsthafte Fortschritte in allen Sektoren. Dazu gehört der Kohleausstieg bis 2030, ein Turbo für den Ausbau der Erneuerbaren Energien und dringend Emissionssenkungen endlich auch im Verkehrsbereich – etwa durch ein verändertes Dienstwagenprivileg.“
International lässt sich vor allem in der Kategorie Klimapolitik ablesen, dass eine Reihe ambitionierter Staaten entschlossen den Pfad zur Klimaneutralität eingeschlagen hat. Neben den skandinavischen Staaten – bei der Politikbewertung auch Finnland – sind dies vor allem Marokko, die Niederlande, Portugal und Frankreich. Deutschland und die EU als Ganzes folgen mit etwas Abstand im oberen Mittelfeld. Am Ende der Tabelle finden sich die größten Bremser: Australien mit der schlechtestmöglichen Wertung 0,0 noch hinter Brasilien und Algerien. Aber auch fünf EU-Staaten befinden sich bei der Klimapolitik in der untersten Kategorie „sehr schlecht“: Bulgarien, Ungarn, Polen, Rumänien und Tschechien.
Norwegen als einziges Land mit „sehr gut“ bei Erneuerbaren Energien
In der Kategorie „Erneuerbare Energien“ kommt Norwegen als einziges Land auf die herausragende Wertung „sehr gut“ und setzt damit Maßstäbe weltweit. Neben dem hohen Anteil von Wasserkraft setzt das Land auch zunehmend auf Wind- sowie Solarenergie und hat ehrgeizige Ausbauziele. Die norwegischen Expert:innen kritisieren in der Politikbewertung allerdings die gleichzeitig fortgesetzte Ausbeutung und den Export von Öl- und Gasressourcen. „Wenn Norwegen seine Erschließung von Öl- und Gasfeldern in der Arktis einstellen sollte, könnte das Land als erstes überhaupt einen der bisher unbesetzten ersten drei Plätze in der Gesamtwertung des Index belegen. Dann wäre es wahrscheinlich auf einem tatsächlich Paris-kompatiblen Pfad“, so Jan Burck von Germanwatch.
Der diesjährige Gesamtsieger Dänemark folgt bei den Erneuerbaren direkt dahinter. Insgesamt überzeugt Dänemark mit überwiegend guten Bewertungen in fast allen Kategorien, das 70-Prozent-Emissionsminderungsziel für 2030 führt in dieser Teilkategorie sogar zu einem „sehr gut“. Allerdings hat auch Dänemark noch Nachholbedarf: bei der Energieeffizienz (nur Mittelfeld) und beim Erreichen des 2030-Ziels. Denn da attestiert die dänische Kommission, die zur Überwachung dieses Prozesses eingesetzt worden ist, der Regierung noch Handlungsbedarf vor allem im Verkehr und im Agrarbereich.
China rutscht ab, USA nur dank Präsident Biden nicht mehr Schlusslicht
Der größte Emittent weltweit, China, rutscht vier Plätze auf Rang 37 ab (Gesamtwertung „schwach“). Die größten Problemfelder liegen in den hohen Emissionen und der bisher sehr schlechten Energieeffizienz. In beiden Bereichen sind auch die Ziele für 2030 weit entfernt von einem Paris-kompatiblen Pfad. Sehr gut ist hingegen der Trend bei den Erneuerbaren Energien. In der Gesamtkategorie bei den Erneuerbaren liegt das Land mit Rang 23 auch vor Deutschland.
Beim zweitgrößten Emittenten USA macht sich das erste Jahr unter Biden positiv bemerkbar. Im Vorjahr Schlusslicht, klettern sie nun in der Gesamtwertung um sechs Plätze auf Rang 55, bleiben aber in der Kategorie „sehr schwach“. „Die Verbesserung im Index ist bisher ausschließlich auf die deutlich bessere Politikbewertung und das neue Klimaziel für 2030 zurückzuführen. Es wird sich in den kommenden Jahren zeigen müssen, ob Bidens Politik auch tatsächlich bei Erneuerbaren, Energieeffizienz und letztlich Emissionen Früchte trägt“, erläutert Niklas Höhne vom NewClimate Institute.
Vor einem Wendepunkt steht möglicherweise Indien – bisher im Bereich „gut“ gelistet (Rang 10). Indien profitiert bisher noch von seinen relativ niedrigen Pro-Kopf-Emissionen. Doch diese steigen und nur starke Klimaziele mit ambitionierter Umsetzung können das Land vor einem sonst drohenden Absturz im Ranking bewahren. Premier Modi kündigte auf dem Leaders Summit zu Beginn der COP26 eine Nachschärfung des indischen NDCs/Klimaplans für 2030 an. Wenn diese neuen Ziele mit Sektorzielen untermauert und in die Umsetzung gebracht werden, wäre Indien auf einem guten Weg.
Zum Klimaschutz-Index: Der von Germanwatch und dem NewClimate Institute veröffentlichte Klimaschutz-Index (Climate Change Performance Index, CCPI) ist eine Rangliste der 60 Länder plus EU gesamt, die zusammen für etwa 90 % der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Die vier bewerteten Kategorien sind: Treibhausgasemissionen (40%, Stand 2019), Erneuerbare Energien (20%), Energieverbrauch (20%) und Klimapolitik (20%). Letztere basiert auf Experteneinschätzungen von Organisationen und Think Tanks aus den jeweiligen Ländern. In diesem Jahr haben den Index ca. 500 Expert:innen unterstützt. Innerhalb der Kategorien Emissionen, Erneuerbare Energien und Energieverbrauch bewertet der Index auch, inwieweit die Länder angemessene Maßnahmen ergreifen, um auf einen Pfad zu gelangen, der mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar ist. Damit ist der Klimaschutz-Index ein wichtiges Instrument, das die Transparenz in der internationalen Klimapolitik erhöht und einen Vergleich der Klimaschutzbemühungen der einzelnen Länder ermöglicht. Er wird seit 2005 jährlich veröffentlicht.
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