Finanzen / Bilanzen

Inflation: Wie geht es weiter?

Die Inflation ist derzeit eines der wichtigsten Themen (wenn nicht DAS wichtigste) für die Finanzmärkte, und das könnte zumindest in den nächsten sechs Monaten so bleiben. Wir geben einen Überblick, was an der Inflationsfront in Zukunft passieren könnte, welche Risiken bestehen und was die Inflation für die Zentralbanken bedeutet. Zunächst sei gesagt, dass niemand weiß, was passieren wird. Die Unsicherheiten sind nach wie vor groß und es gibt praktisch keinen Vergleichszeitraum, den wir heranziehen könnten, um abzuschätzen, wie und wann die Inflation zurückgehen könnte. Wir werden daher versuchen zu analysieren, was das wahrscheinlichste Szenario sein könnte.

Wir gehen davon aus, dass die Inflation in der Eurozone im Jahr 2022 durchschnittlich 4,7 % betragen wird. Damit liegt sie 150 Basispunkte über der Schätzung der Europäischen Zentralbank (EZB) vom Dezember. Gleichzeitig wird die Kerninflation durchschnittlich 2,7 % betragen und damit 80 Basispunkte über der EZB-Schätzung liegen. Konkret erwarten wir eine Gesamtinflationsrate von über 5 % mindestens bis Juni, gefolgt von einem langsamen Rückgang im dritten Quartal und einem deutlicheren Rückgang im vierten Quartal. Wir gehen davon aus, dass die Gesamtinflationsrate zum Jahresende bei etwa 3 % und die Kerninflation bei etwa 2,3 % liegen wird. Die Basiseffekte werden in den kommenden Monaten sehr negativ ausfallen (aufgrund der Energiepreise und der Lieferkettenproblematik).

Die höheren Erdgas- und Ölpreise erklären den Großteil des Anstiegs seit Jahresbeginn. Was den Ausblick für den Energiesektor betrifft, so bleibt die Lage äußerst unsicher. Hier werden einige positive Einflussfaktoren wahrscheinlich irgendwann enden, während andere länger anhalten könnten (z. B. die Energiewende in Europa, die zur schrittweisen Schließung von Kohle- und Kernkraftwerken in einigen europäischen Ländern führt). Darüber hinaus sorgt die Ukraine-Russland-Krise für eine gewisse Unsicherheit bei der Erdgasversorgung.

Die Teuerungsrate bei Lebensmitteln tendiert ebenfalls nach oben. Das ist keine große Überraschung, bedenkt man, dass auch die Frühindikatoren (z. B. Düngemittelpreise) seit einigen Monaten nach oben zeigen. Auch dies ist ein großer Unsicherheitsfaktor, vor allem weil Russland die Einfuhr von Nitrat-Ammonium – einer der Komponenten von Düngemitteln – für zwei Monate bis zum 2. April gestoppt hat. In Anbetracht des hohen Erzeugerpreisindex (PPI), der starken Nachfrage nach den verarbeiteten Lebensmitteln und der bevorstehenden Lohninflation ist das Inflationsrisiko unseres Erachtens gestiegen.

Für 2023 erwarten wir einen deutlichen Rückgang der Kern- und Gesamtinflation auf durchschnittlich 1,7 %. Die Unsicherheiten bleiben aber auch hier groß. Die Entwicklung von Versorgungsengpässen, Lohnentwicklung und Energiepreisen wird von größter Bedeutung sein.

Wie auch immer die Inflationserwartungen für 2023 aussehen mögen, die aktuellen massiven Inflationszahlen und die hohen Energiepreise deuten auf ein erhebliches Risiko deutlich höherer Inflationsprognosen der EZB im März hin, insbesondere für 2022. Der Zweijahreshorizont (2024) könnte sich gefährlich der 2 %-Marke nähern, was zu einem restriktiveren Ausblick führen könnte. Die Inflation wird die EZB unter Druck setzen, ihren relativ hawkischen Ton 2022 weitgehend beizubehalten. Das wird sich negativ auf die Marktstimmung auswirken.

Auch in den USA rechnen wir in den kommenden Monaten mit einer sehr hohen Inflation. Wir erwarten für 2022 eine durchschnittliche Inflationsrate von 5,7 % und eine durchschnittliche Kerninflation von etwa 5 %. Die Entwicklung im Laufe des Jahres wird mit unseren Erwartungen für Europa vergleichbar sein: Eine sehr hohe Inflation bis Ende April (über 7 %) und eine Verlangsamung bis Jahresende. Wir gehen davon aus, dass die Gesamt- und Kerninflation am Ende des Jahres bei etwa 3,5 % und damit über dem Ziel der FED liegen wird.

Die Eigenheimpreise haben einen erheblichen Einfluss auf die eigentümeräquivalente Miete (Owner´s Equivalent Rent (OER)) und einzelne Mietkomponenten, die insgesamt 40 % der Kerninflation ausmachen. Was die Mieten betrifft, so deuten mehrere Indizes (REIS-Mieten, Zillow-Mieten) darauf hin, dass sich die derzeitige Inflationssteigerung bei den Mieten bis weit in das Jahr 2022 hinein fortsetzen und in der zweiten Jahreshälfte 2022 und in 2023 über 5 % betragen könnte.

Auch die Löhne sind eine wichtige Determinante für die mittelfristige Inflationsprognose (insbesondere im Dienstleistungssektor). In den letzten sechs Monaten hat sich die Lohnentwicklung laut Atlanta FED auf 4,5 % im Jahresvergleich erhöht und damit ein 20-Jahres-Hoch erreicht. Die kurzfristigen Aussichten bleiben ungewiss: Die Kündigungsquote im privaten Sektor deutet auf weitere Lohnsteigerungen hin, während der Erwartungsindex des Conference Board, der sich auf die kurzfristigen Aussichten der Verbraucher in Bezug auf Einkommen, Unternehmen und Arbeitsmarktbedingungen stützt, auf einen bevorstehenden Rückgang hindeutet. 

Im Gegensatz zu Europa erwarten wir in den USA eine hohe Kerninflation, selbst im Jahr 2023. Grund hierfür ist vor allem die hohe Kerninflation im Dienstleistungssektor (hohe OER- und Mietkomponenten). Wir gehen davon aus, dass die Inflation niedriger ausfallen wird als 2022, aber 2023 im Durchschnitt bei 2,8 % und damit über der Zielrate der FED liegen wird. Hohe Inflationszahlen in den kommenden Monaten werden einen relativ hawkischen Ton der Fed bestärken, was sich negativ auf die Marktstimmung auswirken wird.

Der Privatkonsum war in den USA im Jahr 2021 dank der starken fiskalischen Unterstützung, die nun langsam ausläuft, sehr hoch. Historisch gesehen besteht in den USA eine negative Korrelation zwischen der Inflation und den persönlichen Ausgaben. Wenn sich dieses Verhältnis bewahrheitet, müssen wir in den kommenden Quartalen mit einer Konsumabschwächung rechnen. Folglich könnte das US-Wachstum in der zweiten Jahreshälfte enttäuschen, selbst wenn die Inflation weiterhin hoch ist.

Eine mögliche Verlangsamung des Wachstums, eine hohe Inflation und eine geldpolitische Straffung durch die Zentralbank… das ist nicht gerade das beste Umfeld für die Risikobereitschaft insgesamt.

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