Von der Brüsseler Transfer- und Staatsschulden-Union zur europäischen Abtreibungsunion?
Präsident und Kandidat in einem
Emmanuel Macron nutzte seine Antrittsrede vor dem EU-Parlament in Straßburg am 19. Januar auch gleich für einen innenpolitischen Aufschlag: Frankreich will die EU zu einer "Abtreibungsunion" machen. Zu diesem Zweck soll die Charta der Grundrechte der EU aktualisiert und ein "Recht auf Abtreibung" hinzugefügt werden.
Diese Ankündigung folgt auf die Wahl der EVP-Politikerin Roberta Metsola zur Parlamentspräsidentin einen Tag zuvor. Sie wurde nicht nur in Frankreich zustimmend zur Kenntnis genommen. Die aus Malta stammende Juristin Roberta Metsola ist 43 Jahre alt, lebt mit ihrem finnischen Ehemann und ihren gemeinsamen vier Söhnen in Brüssel und ist eine Gegnerin von Abtreibung. In Frankreich hingegen gehört die Abtreibung zur Staatsraison und ist dort so banal wie das Fotografieren des Eiffelturms. Französische Medien titelten bissig "Abtreibungsgegnerin wird EP-Präsidentin" und erinnerten daran, dass die erste Präsidentin des EU-Parlaments im Jahr 1979, Simone Veil aus Frankreich, für das liberalste Abtreibungsgesetz eines Mitgliedstaates der damals noch jungen Europäischen Gemeinschaft verantwortlich war. Simone Veil gilt deshalb vielen in der EU als Heldin. Das EU-Parlament hat den Vorplatz seines Gebäudes am Luxemburger Platz in Brüssel und den Gleichstellungspreis der Parlamentsverwaltung nach ihr benannt.
Machterhalt vor Lebensschutz
Um ihre problemlose Wahl mit absoluter Mehrheit im ersten Wahlgang zu sichern und das Narrativ von der Stärke der europäischen Christdemokraten am Leben zu erhalten, benötigte Manfred Webers EVP die Stimmen der liberalen Fraktion "Renew Europe", zu der die deutsche FDP und auch Macrons Partei „En Marche!“ gehört. Im Vorfeld der Wahl von Frau Metsola trafen Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberale eine „Koalitionsvereinbarung“, um stabile Mehrheiten bei Abstimmungen über die weitere Abtretung von nationalen Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten an die Brüsseler EU-Verwaltung bis zum Ende der Legislaturperiode im Frühjahr 2024 zu sichern. Die von Manfred Weber (CSU) unterzeichnete Vereinbarung sieht eine Aufwertung von Frauenrechten, einschließlich des Rechts auf Abtreibung, vor. Damit haben CDU/CSU im EU-Parlament ihre C-Position endgültig aufgegeben und unterstützen nun offen die Abtreibungsagenda zum Machterhalt. Kaum mit den Stimmen der Liberalen zur Parlamentspräsidentin gewählt, kündigte auch die EVP-Abgeordnete Roberta Metsola an, den von der liberalen Fraktion vorgelegten "Simone-Veil-Pakt für das Recht auf Abtreibung in Zeiten von Corona" zu unterzeichnen.
Macrons pathetische Ankündigung, ein "Grundrecht auf Abtreibung" in die Charta der Grundrechte der EU aufzunehmen, um die Rechtsstaatlichkeit zu stärken, ist dem politischen Zeitgeist und seinem Wahlkampf zu Hause geschuldet, aber keineswegs banal. Die "Sowohl-als-auch"-Taktik ist ein Markenzeichen des Start-up-Präsidenten Macron, um Widersprüche zu kaschieren. Das tut er auch hier. Emmanuel Macron will den Rechtsstaat stärken und zu diesem Zweck den Straftatbestand "Abtreibung" zu einem Grundrecht erklären. Auch in Deutschland ist Abtreibung weiterhin eine Straftat, die nur unter sehr eng definierten Ausnahmen durchgeführt werden darf und damit straffrei bleibt. Die EU-Grundrechtecharta verbietet die Todesstrafe, aber Emmanuel Macron will in derselben Charta ein neues Grundrecht einführen, dessen Ausübung zur Tötung von menschlichem Leben im Mutterleib führt. Ein "Grundrecht auf Abtreibung" soll natürlich auch den Handlungsspielraum derjenigen einschränken, die im Einklang mit der Wissenschaft und der Rechtsprechung des EuGH (Urteil C-34/10) der Meinung sind, dass das menschliche Leben mit der Befruchtung beginnt, und die Verantwortung für das ungeborene Leben übernehmen, indem sie werdende Mütter und Väter und Familien in Schwierigkeiten unterstützen.
Macrons Ankündigung – ein politischer und kultureller Dammbruch
Die Charta der Grundrechte ist Teil der Unionsverträge. Wie die letzten Vertragsänderungen, die zum aktuellen "Vertrag von Lissabon" führten, gezeigt haben, können Unionsverträge nicht mit einem Federstrich geändert werden, auch wenn Macron dies vor den begeistert applaudieren Europaparlamentariern so darstellt. Vertragsänderungen werden erst möglich, wenn alle neu zu fassenden Rechtsgrundsätze nach zähen Verhandlungen einstimmig angenommen werden. Außerdem gilt die Charta der Grundrechte nur für die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung des EU-Rechts. Da „Schwangerschaftsabbruch“ aber bisher ausdrücklich nicht in die formale Zuständigkeit der EU fällt, müsste dafür erst eine Rechtsgrundlage im EU-Recht geschaffen werden. Dies wiederum würde zu einer weiteren Kompetenzverlagerung von den Mitgliedstaaten auf die EU-Verwaltung in Brüssel führen. Das ist verfahrenstechnisch überhaupt nicht so einfach, wie Macron es darstellt. Aber Macrons Ankündigung ist ein politischer und kultureller Dammbruch: Nach der Transfer- und Staatsschulden-Union ist die EU nun auf dem Weg zu einer Abtreibungsunion.
Allerdings muss Macron mit irgendetwas aufwarten, um in Frankreich innenpolitisch punkten zu können. Der Präsidentschaftswahlkampf geht nur schleppend voran. Der erste Wahlgang findet bereits am 10. April statt. Der Amtsinhaber hat sich noch immer nicht als Kandidat erklärt, sammelt aber fleißig Unterstützerunterschriften. Man hat den Eindruck, er übernehme ein früheres Wahlkampfmotto: „Sie kennen mich“.
Auch wenn die Ereignisse in Brüssel und besonders derzeit in der Ukraine dazu nur wenig Grund bieten: Bleiben Sie optimistisch!
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