Buchrezension
Christian Hennecke
Raus in eine neue Freiheit! Die Überwindung der klerikalen Kirche
Kösel-Verlag, 2021, 208 Seiten,
Gebundenes Buch: 20,00 Euro
Ebook/Kindle: 17,99 Euro
ISBN-10: 3466372739
ISBN-13: 978-3466372737
Raus! Nach dem Münchner Missbrauchsgutachten mehren sich die Austritte aus der Römisch-katholischen Kirche. Viele wollen nur noch weg. Auch der Generalvikariatsrat im Bistum Hildesheim Dr. Christian Hennecke thematisiert in seinem neusten Buch die vielfältigen Probleme und Herausforderungen, vor denen die katholische Kirche steht und plädiert für eine Überwindung. Ihm geht es dabei nicht um ein Aufhalten der Austritte, sondern um ein völliges Neudenken von Kirche als Institution. Seine These: „Eine neue Wirklichkeit der Kirche ist schon lange auf dem Weg, und das Evangelium findet auch heute seine Formen, die es in dieser Welt wirksam machen.“ (S. 60)
Zum Inhalt
Auf 209 Seiten führt Hennecke seine These zuweilen recht emotional aus. In elf Kapiteln plus Vorwort und Schlusswort macht sich der Autor Luft. Dabei fängt er bei der Corona-Krise an, prangert die „Diktatur des Zählens“ an, philosophiert über die Ordination (wobei er durchaus eine Sympathie für die Frauenordination erkennen lässt), und stellt fest, dass die Priesterausbildung neu gedacht werden muss (und Ausbildungsorte zusammengelegt werden müssen). Der Pfarrer kritisiert die grundsätzliche Machtversessenheit kirchlicher Würdenträger, skizziert die Zukunft des klerikalen Dienstes, ist für die Ökumene und auch für eine Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. Auch zur Liturgie weiß er etwas zu sagen.
Hennecke ist bei seiner Realitätsbeschreibung nicht zimperlich: Die Kirche ähnelt zuweilen einem überinstitutionalisierten Verein. Doch die Zeiten, in denen sich Kirche so exklusiv vereinsartig organsierten kann, sind vorbei. Statt über die schwer zu organisierenden Selbstständigkeiten von Laien zu jammern, sollte man damit leben lernen und diese positiv bewerten. Denn diese Wandlungsprozesse sind nicht aufzuhalten, sondern die „eigentliche DNA“ des Evangeliums (S. 53). Statt stabilisierender Strukturprozesse müssen Laieninitiativen zugelassen und gefördert werden, auch wenn das „auf Kosten gewachsener Kirchengestalten“ (S. 53) geht. Gemeinde steht seit jeher im Transformationsprozess.
Es geht dem Autor weder um den Bestandserhalt einer Volkskirche noch um die „gegenabhängige Schrumpfungseuphorie“ (S. 69). Ganz unvoreingenommen will er einen nicht kontrollierbaren Weg zulassen, im Vertrauen auf Gott, sein Wort und seinen Geist. Doch gerade so einem Verständnis steht die klerikal-professionelle Prägung des Systems gegenüber. Dieser „Systemfehler“ muss überwunden werden, wozu ein längerer bewusstseinsbildender Weg gegangen werden muss (S. 86). Stattdessen sind alle im „Spiegelkabinett selbstreferentieller Kirchlichkeit einer vergangenen Vergangenheit“ (S. 107) stecken geblieben. Zudem beklagt er das Verschwinden der existentiellen Eingründung der Theologie. Diese sei entkoppelt von der Wirklichkeit und somit völlig kraftlos.
Zum Punkt
Ein provokativer Rundumschlag: sympathisch und frech geschrieben, eindeutig progressiv. Überraschend positiv und offen werden dabei negativ konnotierte Entwicklungen neu bewertet und mit Chancen versehen. Nicht die Tatsache, dass die Kirche schrumpft, ist zu bekämpfen, sondern die Kirche und ihre Mitarbeiter werden zum Umdenken aufgefordert. Man muss dem Autor nicht immer in seiner Sichtweise und Argumentation folgen, doch sein Mut und seine Offenheit angesichts der großen Kirchenleere tun gut. Wenn alle Mitarbeiter der klerikalen Kirche so denken würden, wären die vielfältigen Probleme sicherlich geringer und die Kirche wäre attraktiver für Mitglieder und Kirchenferne.
Claudia Mohr
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