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Große Trauer um Pflanzenforscher von Weltruf

Mit tiefer Betroffenheit nehmen die Beschäftigten des Leibniz-Instituts für Pflanzenbiochemie (IPB) Ab­schied von ihrem langjährigen Weggefährten und ehemaligen Geschäftsführenden Direktor, Professor Dierk Scheel. Der international anerkannte Pflanzenwissenschaftler ist am 18. Mai 2022 in Halle (Saale) un­er­wartet verstorben. Dierk Scheel leitete von 1994 bis 2019 die Abteilung Stress- und Entwicklungsbiolo­gie am IPB. Als Geschäftsführender Direktor von 1998-2004 sowie von 2005-2007 prägte er die wissen­schaft­liche Reputation des Instituts in hohem Maße. In dieser Funktion agierte er als Im­puls­geber für die Umsetzung visionärer Ideen und sorgte für die Etablierung neuer, zukunftsweisender For­schungs­tech­no­logien, die mittlerweile eine Strahlkraft weit über die Grenzen Deutschlands hinaus er­reicht haben.

Dierk Scheel wurde 1950 in Celle geboren. Er studierte Biologie und Chemie an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Nach seiner Promotion zum Abbau von Pestiziden in Pflanzen und einem Forschungsaufenthalt an der University of California, Berkeley, USA, wurde er 1983 Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln. Dierk Scheel habilitierte 1993 im Fach Biochemie an der Universität Köln und wurde 1994 an die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) zum Professor für Entwicklungs­biolo­gie berufen. Gleichzeitig begann er seine Tätigkeit am IPB als Abteilungsleiter und späterer Geschäftsführender Direktor.

Verdienste um das Institut

Unter der Leitung von Professor Scheel entwickelte das Institut im Jahr 2001 ein innovatives Forschungs­kon­zept mit neuer strategischer Ausrichtung. Fortan wurden die wissenschaftlichen Fragestellungen abteilungs­über­greifend in vier thematisch, methodisch und organisatorisch vernetzten Schwerpunkten bearbeitet: Pflanz­liche Naturstoffe, Molekulare Interaktionen, Genfunktionsanalyse sowie Bio- und Chemoinformatik. In dieser Zeit etablierte Dierk Scheel am Institut hochmoderne Analysemethoden für „kleine Moleküle“ (auch als Metabolomics bezeichnet), mit denen eine umfassende Bestandsaufnahme ausgesuchter und unbekannter pflanzlicher Inhaltsstoffe möglich wurde. Für die Auswertung der dabei anfallenden Daten gründete er 2002 die abteilungsübergreifende Arbeitsgruppe und Technologieplattform Bioinformatik und Massenspektrometrie, die seither sehr erfolgreich auf nationaler und internationaler Ebene agiert. 

Zehn Jahre später folgte auf seine Initiative die Etablierung der Proteomics-Plattform am IPB, die dem Nach­weis pflanzlicher Proteine im Hochdurchsatzverfahren dient. Beide Technologieplattformen haben nicht nur die Arbeiten seiner Abteilung maßgeblich vorangetrieben, sie waren auch für die Umsetzung der Forschungs­strategie des gesamten Instituts richtungsweisend, strukturbildend und unerlässlich. Vor allem auf dem damals noch wenig erschlossenen Gebiet der Metabolomics hat sich das Institut seither eine beachtliche Expertise auf­gebaut und gilt als international gefragter Kooperationspartner.

Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses

Über die institutionellen Belange hinaus engagierte sich Professor Scheel zudem für die adäquate Ausbildung der Studenten und Studentinnen in diesen Zukunftstechnologien. Unter seiner Mitwirkung wurde 2001 ge­mein­sam mit dem Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben und der MLU das Bio­informatikzentrum Gatersleben-Halle gegründet sowie ein Aufbaustudiengang Bioinformatik an der MLU ein­geführt. Die entsprechenden Praktika fanden am IPB statt. Darüber hinaus wirkte er 2004 federführend bei der Gründung des weinberg campus e.V. mit, der die Entwicklung des Wissenschafts- und Wirtschaftsstand­or­tes Halle auf dem Weinberg zum Ziel hat. 

In der Ausbildung und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses leistete Dierk Scheel Großartiges. Kon­ti­nuierlich traten hervorragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus seiner Abteilung ihren Weg in er­folgreiche Karrieren in Wissenschaft und Industrie an. Zwei Professoren und zwei Professorinnen gingen di­rekt aus seiner Abteilung hervor; fünf weitere Professoren hatten zuvor eine Stelle als unabhängige Nach­­wuchs­­­forschungsgruppenleiter am IPB, deren Etablierung 2007 von Dierk Scheel initiiert wurde. Zwei Wis­sen­schaftler gründeten 2008 aus seiner Abteilung heraus das Startup-Unternehmen NH-Diagnostics, das sich in­zwi­schen erfolgreich am Markt etabliert hat. Seit 2001 wurden in der Abteilung Stress- und Ent­wick­lungs­bio­lo­gie insgesamt 47 Diplomand/innen, 17 Bachelor- und 20 Masterstudenten betreut sowie 45 Doktorand/innen und 2 Habilitanden erfolgreich zum Abschluss geführt.

Wissenschaftliche Erfolge

Unter Leitung von Dierk Scheel etablierte sich am Institut ein vielbeachteter Expertenkreis mit hoher Repu­ta­tion und international anerkannten Forschungsergebnissen auf dem Gebiet der pflanzlichen Stressabwehr. Im Fokus seiner Forschungsarbeiten stand die pflanzliche Basisimmunität – eine hocheffiziente Abwehrstrategie aller pflanzlichen Organismen gegen ein breites Spektrum an Invasoren und Krankheitserregern. Die Tatsache, dass Pflanzen permanent von möglichen Krankheitserregern umgeben sind, aber dennoch nicht erkranken, er­weck­te seinen Forscherdrang in hohem Maße. Gemeinsam mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissen­schaft­lern postulierte er, dass Pflanzen – ähnlich wie Tiere – über ein angeborenes Immunsystem verfügen, wel­ches ihnen erlaubt, alles Fremde und potentiell Schädliche zu erkennen und auszumerzen. Dafür ist ein all­ge­meines molekulares Erkennungsmuster notwendig, das bei vielen mikrobiellen Krankheitserregern vor­han­den sein muss. Bei tierischen Krankheitserregern waren einige dieser Erkennungsmuster, die sogenannten PAMP-Strukturen (für pathogen-associated molecular pattern) bereits bekannt. Bei den Erregern von Pflanzen­krankheiten suchte man jedoch lange nach ihnen. 

Dierk Scheel und sein Schüler Thorsten Nürnberger (heute Professor an der Universität Tübingen) gehörten zu den ersten Wissenschaftlern, die 1997 eine solche PAMP-Struktur auch für pflanzenpathogene Bakterien ent­deckten. Mit ihrer Publikation im renommierten Magazin Science erbrachten die Hallenser Wissenschaftler ei­nen wichtigen Beweis für die Existenz der pflanzlichen Basisimmunität. Es folgte eine Reihe von weiteren weg­wei­senden Experimenten über die Abwehrreaktionen, die von dieser PAMP-Struktur in der Pflanze ausgelöst wer­den. Das über die Jahre zusammengetragene Wissen um Abwehrreaktionen innerhalb der Pflanzenzelle er­hielt bald Modellcharakter für viele weitere Prozesse der Basisimmunität in anderen Pflanzen. Über 200 wissen­schaftliche Publikationen entsprangen seinem Tatendrang. Dierk Scheel war Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaft Leopoldina und Mitherausgeber von verschiedenen Fachjournalen.

Engagement in der Wissenschaftspolitik

Mit großem Verantwortungsbewusstsein und auch mit Freude agierte Professor Scheel in zahlreichen wich­ti­gen Ausschüssen, Gremien und Beiräten der deutschen Wissenschaftspolitik. Er war Mitglied des Wissen­schaft­­lichen Beirats im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und in den Wissenschaftlichen
Beiräten diverser Max-Planck-, Helmholtz- und Leibniz-Institute vertreten. In der Deutschen Forschungsgemein­schaft (DFG) brachte er immer wieder aktiv seine Expertise ein; er war Sprecher des Fachkollegiums Pflanzen­wis­senschaften der DFG und Mitglied im DFG-Senatsausschuss sowie im DFG-Bewilligungsausschuss für Son­der­­forschungsbereiche.

Dierk Scheels Vermächtnis

Die Wissenschaft hat Dierk Scheel seine tiefgreifenden Erkenntnisse zur pflanzlichen Immunität zu verdanken und Deutschland seine vielfachen Impulse in der Wissenschaftspolitik – das IPB hingegen verdankt ihm seine Zukunft. In einer Zeit, als die Metabolomics noch in den Kinderschuhen steckte, hat Dierk Scheel diese moder­ne Technologie am Institut etabliert und dafür gesorgt, dass sie stetig weiterentwickelt wird. Die starke Me­ta­­bolomics-Expertise am IPB wird in naher Zukunft in die Einrichtung des Program Center for Plant Meta­bolo­mics and Computational Biochemistry (MetaCom) münden. Auf dieser Basis wird sich das Institut zu einem Referenz­zentrum für spezialisierte Naturstoffe entwickeln, das auf ein umfassendes Verständnis der pflanzlichen Wi­der­standskraft gerichtet ist. Mit seinem beträchtlichen Know-How und Gerätepark kann das IPB einen Beitrag leis­ten zu den wichtigsten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, vor allem bezüglich Klimawandel, Ernährungs­sicherheit und Gesundheit von Menschen und Kulturpflanzen. Die Umsetzung dieser Ambitionen wird ein Ver­mächtnis von Dierk Scheel sein. 

Den Mitarbeitern des IPB wird ihr ehemaliger Direktor immer im Gedächtnis bleiben: Als hochgeschätzter, auf­richtiger und freundlicher Kollege mit einem unschätzbaren Fundus an Wissen und Erfahrung, aber auch an Ge­schichten und Anekdoten. Sein Rat und seine Worte waren immer bedeutsam und gerne gehört. Er wird uns fehlen im Getriebe des Forschungsalltags. Unsere Gedanken und unser tief empfundenes Mitgefühl sind bei sei­nen Angehörigen.

Die Trauerfeier findet am 17. Juni 2022 um 11:00 Uhr auf dem Gertraudenfriedhof in Halle statt. Kondo­lenz­bekundungen können unter https://www.mykeeper.com/profile/DierkScheel/ hinterlegt werden.

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