Gesundheit & Medizin

Zeit für Patienten und Qualität: Hilfsmittelversorgung vor Ort sichern

Von der Bedeutung einer wohnortnahen und qualitätsgesicherten Hilfsmittelversorgung in Deutschland überzeugte sich Kristine Lütke, MdB FDP, am 22. Juli in den orthopädischen Werkstätten und Sanitätshaus Dechet in ihrem Wahlkreis. „Eigenverantwortliches unternehmerisches Handeln verlangt das Auge für das große Ganze: Die wohnortnahe und qualitätsgesicherte Versorgung für jede und jeden Einzelnen ist von hoher Bedeutung. Patientinnen und Patienten müssen auf Qualitätsstandards in der Versorgung vertrauen können, auch während Krisen wie einer Pandemie“, erklärte die Gesundheitspolitikerin bei ihrem Besuch in Roth. „Gleichzeitig müssen Unternehmen im Gesundheitswesen auf Preisschwankungen und Lieferengpässe schneller reagieren können, damit keine Engpässe in der Versorgung entstehen. Nur so können wir die derzeit hohe Versorgungsqualität halten und Leistungskürzungen vermeiden“, so die Berichterstatterin für Heil- und Hilfsmittel der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag.

WvD wirbt für Maßnahmenkatalog

Weniger Bürokratie, mehr Flexibilität und mehr Effizienz stehen auch beim Bündnis „Wir versorgen Deutschland“ (WvD) ganz oben auf der Agenda. Um die hohe Versorgungsqualität in Deutschland zu gewährleisten und versteckte Leistungskürzungen zu verhindern, empfahl Kirsten Abel, Generalsekretärin des WvD, im Gespräch mit Kristine Lütke einen Katalog von Maßnahmen: Entbürokratisierung durch Harmonisierung der Mehrwertsteuer, standardisierte Formulare in Krankenkassenverträgen und die Überarbeitung der Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV). Seit Langem schon fordert das Bündnis zudem Leitverträge mit führenden Organisationen der Leistungserbringer statt immer wieder Qualitätsstandards verletzende Einzelverträge. So erläuterte Michael Schäfer, stv. Obermeister der Landesinnung Bayern, „Leitverträge würden auf das Konto einer stabilen Versorgungsqualität unter der Maßgabe deutlich größerer Effizienz einzahlen“, und verwies beispielhaft auf die vom Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) gestoppte „eVersorgung“ mit Einlegesohlen (PG 08). Der Einzelvertrag der BARMER sei ein Versuch gewesen, unter dem Deckmantel der Digitalisierung Versorgungsstandards abzusenken, so Schäfer. Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts wie die BARMER hatte einen Vertrag verhandelt, der das Entsetzen sämtlicher für die Versorgung in dieser Produktgruppe einschlägigen medizinischen Fachgesellschaften hervorrief. Trotzdem werde in aller Öffentlichkeit überlegt, wie man diese Versorgung wieder aufleben lassen könne. Nach dem Motto: „Was nicht passt, wird passend gemacht“ werde dabei die Anpassung des Hilfsmittelverzeichnisses und damit letztlich die Senkung gesetzlicher Mindeststandards gefordert, wie Schäfer sagte. „Dieses vom BAS aus dem Verkehr gezogene Beispiel hat gezeigt, wie wichtig es ist, dass Vertragsparteien über das Wohl der Versicherten entscheiden, die eine qualitätsgesicherte Versorgung im Blick behalten, denn Fehlversorgung hat schlussendlich ebenfalls wirtschaftliche Konsequenzen.“

Unternehmerisches Handeln braucht den Blick fürs Ganze

Beim Rundgang durch den Inhaber geführten Meisterbetrieb in vierter Generation erläuterten Orthopädietechniker-Meister Matthias Dechet sowie Alf Reuter, WvD-Vorstand und Präsident des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik (BIV-OT), der Abgeordneten drängende Fragen im Versorgungsalltag einer orthopädietechnischen Werkstatt. „Fachkräftemangel, stark steigende Preise für Lieferungen und Energie sowie ein überaus hohes Maß an Bürokratie kennzeichnen unseren Alltag. Verwaltungsaufgaben sowie Verhandlungen mit den Krankenkassen über die Kostenübernahme für Versorgungen, die den Patienten und Patientinnen nach dem Sozialgesetzbuch eigentlich zustehen, nehmen immer mehr Zeit ein“, skizzierte Alf Reuter die Situation der Sanitätshäuser. Zeit, die der Orthopädietechnik-Meister lieber seinen Patientinnen und Patienten widmen würde. „Zusätzlich erreichen uns jeden Tag neue Nachrichten über Kostensteigerungen, die wir zumeist allein schultern müssen. Denn wir haben mit den rund 100 Koste nträgern in Deutschland mehrjährige Verträge. Zwar zeigen einzelne Krankenkassen kleine Flexibilitäten und übernehmen Zuschüsse, zumeist bleiben die Betriebe aber auf den Mehrkosten sitzen.“ Mit Blick auf die ebenfalls stark unter Kostendruck stehenden Kostenträger warnte Alf Reuter vor versteckten Leistungskürzungen: „Mit Spannung warten wir daher auf das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, an dem das Bundesministerium für Gesundheit derzeit arbeitet.“

Fachgerechte Versorgung durch handwerkliches Können und anatomische Kenntnisse

Wie eine qualitätsgesicherte Versorgung aussehen sollte, zeigte der Orthopädietechniker-Meister Matthias Dechet am Beispiel eines Patienten, der an Multipler Sklerose (MS) leidet. Erst nach langem Leidensweg konnte gemeinsam auf dem Wege zwischen der behandelnden Klinik und dem Sanitätshaus ein passendes Hilfsmittel gefunden werden. Eine funktionelle elektrostimulierende Hilfsmittelversorgung sorgt dafür, dass der Patient besser gehen kann und damit in seinem Lebensalltag mobiler ist und seiner Arbeit nachgehen kann. Er ist weniger auf seinen Rollstuhl angewiesen. Das industriell gefertigte Produkt verlangt viele Erprobungen und eine ausreichend lange Testphase sowie Kompetenz und Verständnis für das Krankheitsbild MS. Jeder Patient ist verschieden und braucht eine individuelle abgestimmte Versorgung“, so Dechet.

Ist die richtige Versorgung erst einmal gefunden, kann der Patient in der Regel oft nicht direkt versorgt werden – die Bewilligung durch die Krankenkasse dauert und folgt keinem wirklich geregelten Prozess. „Hier hält es jede der 97 Krankenkassen in Deutschland anders“, so der Orthopädietechnik-Meister. Dechet hat mit genauer Versorgungsdokumentation u.a. per Video den Behandlungserfolg nachgewiesen – aber ob die Krankenkasse das Ergebnis ankerkennt, steht auf einem ganz anderen Blatt. „Eine Testphase bedeutet viel Vorleistung und man muss seine Kompetenz und Erfahrung einsetzen. Von der finanziellen Vorleistung ganz abgesehen. Diese Vorleistung muss auch von Krankenkassen anerkannt werden“, so Dechet über den Bewilligungsprozess.

Für den Patienten verstreicht damit wertvolle Zeit. „Das ist für mich organisatorisch und wirtschaftlich kaum mehr zu stemmen.“ Allein für eine einzige Krankenkasse im Versorgungsbereich Reha legt er ganze fünf Aktenordner vor, welche die verschiedenen Vertragsbedingungen etc. regeln. „Das ist weder zu händeln noch für unternehmerisches Handeln berechenbar – hier macht jeder, was er will“, so Dechet. Auch was Qualitätsstandards in der Versorgung betrifft: Kassen haben hier sehr unterschiedliche Vorstellungen von Preisen und Leistungsanforderungen. Hier herrschen wenig Transparenz und viel Raum für Willkür. Wie auf einem Basar, so kommt sich Dechet tatsächlich oftmals im Umgang mit den 97 Krankenkassen vor. „So kann man als Unternehmer nicht wirklich arbeiten und dabei verlässlich einen Versorgungsauftrag erfüllen.“

Hintergrund

Den Abbau der Bürokratie im Sinne von Patienten und zur Qualitätssicherung der Hilfsmittelversorgung fordert der Verein „Wir versorgen Deutschland“ seit Jahren.

Knapp 25 Prozent der gesetzlich Versicherten in Deutschland benötigen die Versorgung mit Hilfsmitteln. Für Teilhabe und Lebensqualität dieser Patienten und Patientinnen sind diese Versorgungen elementar: Sie gewährleisten den Erfolg ihrer Krankenbehandlung, beugen drohenden Behinderungen vor oder gleichen bereits bestehende Handicaps aus. Mehr als 120.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und mehr als 8.000 Leistungserbringer in den Bereichen Orthopädietechnik, Orthopädieschuhtechnik, Reha-Technik und Homecare verantworten die wohnortnahe und qualitätsgesicherte Versorgung. Doch die Hilfsmittelversorgung als ein zentrales Element der Gesundheitsversorgung in Deutschland steht vor großen Herausforderungen, die unter anderem durch die Stichpunkte Digitalisierung, überbordende Bürokratie und die Sicherung der Versorgungsqualität unter steigendem Kostendruck umrissen werden können.

Über Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik

Der Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT) vertritt als Spitzenverband des orthopädietechnischen Handwerks etwa 2.500 Sanitätshäuser und orthopädietechnische Werkstätten mit mehr als 40.000 Beschäftigten. Jährlich versorgen die angeschlossenen Häuser mehr als 25 Millionen Patienten mit Hilfsmitteln. Der BIV-OT steht in der Verantwortung des deutschen Gesundheitswesens und engagiert sich für die Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der Versorgungsformen.

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