Wendelstein 7-X vor neuen Höchstleistungen
Drei Jahre lang hatten bei Wendelstein 7-X vor allem Ingenieure und Techniker das Sagen. Es ging darum, das Kernfusionsexperiment des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP) am Standort Greifswald auf seine volle Ausbaustufe zu heben. Wichtigstes neues Element des verbesserten Stellarators ist ein wassergekühlter Divertor (High-Heat-Flux-Divertor). Divertoren sind wichtige Bauteile in Fusionsanlagen, weil sie die vom Plasma getragene Energiemengen und Teilchen abführen und somit deren ungünstigen Kontakt mit der Gefäßwand sowie die Verunreinigung des Plasmas verhindern. Dafür müssen die Divertor-Prallplatten hohe Temperaturen aushalten. Durch die 120 neuen Divertor-Module mit Kühlsystem kann Wendelstein 7-X nun mit deutlich höheren Plasmaenergien betrieben werden. Dafür und für andere Komponenten von Wendelstein 7-X wurden insgesamt 6,8 Kilometer Kühlrohre – unterschiedlich in Form und Dicke – gefertigt, isoliert, eingepasst und verschweißt. Insgesamt 657 voneinander unabhängige Kühlkreisläufe führen die Wärme im Wendelstein 7-X ab.
Die künftig möglichen höheren Plasmaenergien erzeugen die drei Heizsysteme mit insgesamt mehr als verdoppelter Leistung:
· Die neue Ionenheizung mit Radiowellen kann maximal 1,5 Megawatt Leistung einspeisen,
· die Heizleistung der Neutralteilcheninjektion wurde auf 7 Megawatt verdoppelt und
· die Elektronenheizung mit Mikrowellen wurde auf 10 Megawatt erweitert.
60 Kilometer Kabel und Schläuche wurden installiert – zusätzlich zu den bereits vorhandenen 280 Kilometern. Zusätzlich wurden 40 Diagnostiken erweitert oder neu installiert, um das Plasma genauer und umfangreicher vermessen zu können.
Von diesem Herbst an werden nun wieder Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einem international zusammengesetzten Team Wendelstein 7-X zu neuen Höchstleistungen treiben. „Mit der verbesserten Ausstattung wollen wir in wenigen Jahren Hochleistungs-Plasmen mit bis zu 18 Gigajoule Energieumsatz über eine halbe Stunde stabil halten“, erklärt Prof. Dr. Thomas Klinger, Leiter des Bereichs Stellarator-Dynamik und -Transport am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifswald. „Jetzt wird es darum gehen, uns Schritt für Schritt an dieses Ziel heranzutasten und mehr über den Plasmabetrieb bei höheren Energien zu lernen, ohne die Maschine zu schnell zu stark zu belasten.“ Allein für die kommende Experimentkampagne (OP 2.1), die voraussichtlich bis Ende März 2023 andauern wird, wurden mehrere hundert Experimentvorschläge eingereicht – von Forschenden aus dem IPP und zahlreichen internationalen Instituten sowie Universitäten aus der EU, den USA und Japan.
„Eine wichtige Aufgabe wird darin bestehen, zu lernen, wie wir die im Plasma ankommende Heizenergie und damit die Plasmatemperaturen steigern können“, sagt Prof. Klinger. Bis zu einem Gigajoule Energieumsatz ist in dieser Phase geplant (der Energieumsatz ist die eingekoppelte Heizleistung multipliziert mit der Dauer der Entladung). Vor dem Umbau lag der Bestwert bei 75 Megajoule. Der Energiegehalt, also die Bewegungsenergie aller Plasmateilchen, konnte damals auf bis zu 1 Megajoule gesteigert werden – das ist der bis heute geltende Weltrekord für Stellaratoren. Es gelangen zudem langlebige Plasmen von 100 Sekunden Dauer bei guten Plasmakenngrößen.
In früheren Experimenten hatte sich gezeigt, dass zwar das Aufheizen der Elektronen im Plasma sehr erfolgreich war. Sie sollen ihre Energie anschließend an die Ionen weitergeben. Die Ionen erreichten jedoch noch nicht die erwarteten Temperaturen. Im Zusammenhang damit wird die Erforschung von Turbulenzen, die im Plasma auftreten, wichtig sein. Sie haben in Stellaratoren einerseits eine wichtige Funktion, weil sie Verunreinigungen im Plasma entfernen. Andererseits behindern sie den Energietransport. Und den wollen die Forschenden in Greifswald in den bevorstehenden Experimenten deutlich besser verstehen und kontrollieren.
Hintergrund zur Kernfusion
Ziel der Fusionsforschung ist es, ein klima- und umweltfreundliches Kraftwerk zu entwickeln. Ähnlich wie die Sonne soll es aus der Verschmelzung von Atomkernen Energie gewinnen. Weil das Fusionsfeuer erst bei Temperaturen über 100 Millionen Grad zündet, darf der Brennstoff – ein dünnes Wasserstoffplasma – nicht in Kontakt mit kalten Gefäßwänden kommen. Von Magnetfeldern gehalten, schwebt er nahezu berührungsfrei im Inneren einer Vakuumkammer. Den magnetischen Käfig von Wendelstein 7-X erzeugt ein Ring aus 50 supraleitenden Magnetspulen. Ihre speziellen Formen sind das Ergebnis ausgefeilter Optimierungs-rechnungen. Mit ihrer Hilfe soll die Qualität des Plasmaeinschlusses in einem Stellarator das Niveau der konkurrierenden Anlagen vom Typ Tokamak erreichen.
Das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching bei München und Greifswald erforscht die physikalischen Grundlagen für ein Fusionskraftwerk, das Energie aus der Verschmelzung von leichten Atomkernen gewinnen soll. Die Arbeiten des IPP sind eingebettet in das Europäische Fusionsprogramm. Mit rund 1100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist das IPP eines der größten Zentren für Fusionsforschung in Europa.
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