Gesundheit & Medizin

„Stationsäquivalente Behandlung ist ein Erfolgsmodell“

Mit der sogenannten Psychiatrie-Enquete hat der Gesetzgeber in Deutschland bereits in den 1970er-Jahren die Weichen dafür gestellt, dass Patientinnen und Patienten mit seelischen Störungen nicht mehr weit weg von zu Hause, in großen Krankenhäusern, sondern inmitten der Gemeinde behandelt werden sollten. Der Karlsruher Gemeinderat hat diese Vorgabe Anfang der 1980er-Jahre mit der Gründung der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin umgesetzt. Sie bietet mittlerweile nahezu dreihundert stationäre und tagesklinische Behandlungsplätze mitten in der Stadt an.

Seit kurzem dürfen psychiatrische Kliniken mit Versorgungsauftrag Patientinnen und Patienten nun auch noch weitaus näher in der Gemeinde behandeln als bisher, nämlich ganz zu Hause. Gemeint ist die sogenannte stationsäquivalente Versorgung (StaeB). Das Angebot richtet sich an Patientinnen und Patienten, die eigentlich stationär aufgenommen werden müssten. „Mit StaeB können wir nun erstmals Patientinnen und Patienten erreichen, die sich aktuell auf keine stationäre Behandlung einlassen können oder wollen“, freut sich Professor Dr. Michael Berner, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin. An sieben Tagen der Woche betreut ein multidisziplinäres Team aus Ärztinnen, Psychologinnen, Ergotherapeutinnen, Bewegungstherapeutinnen und erfahrenen Mitarbeitenden der Pflege nun bis zu 15 Patientinnen und Patienten.

Dorothee Kolter ist Ärztin im Team. „Mit StaeB können wir genau dort tätig sein, wo Probleme entstehen: etwa in der Kinderbetreuung, in der Haushaltsführung oder einfach wenn es darum geht, nur aus dem Haus zu gehen." Mit StaeB sollen deshalb insbesondere solche Patientinnen und Patienten erreicht werden, denen bisher kein Angebot gemacht werden konnte. Behandelt worden sind bisher beispielsweise Mütter mit depressiven oder schizophrenen Erkrankungen, die auch ihre Kinder weiter betreuen müssen, Patientinnen und Patienten mit Angststörungen, die seit Jahren nicht mehr aus dem Haus gegangen sind oder auch Patientinnen und Patienten, die körperlich zu krank sind, um noch aus dem Haus zu gehen, aber deren Depression trotzdem behandelt werden muss.

Der jüngste Patient war gerade erst 18 Jahre alt, die älteste Patientin weit über 80 Jahre. So bestand mit StaeB auch während der Corona-Pandemie für gerontopsychiatrische Patientinnen und Patienten, die in der Klinik eigentlich wesentlich stärker hätten isoliert werden müssen, eine Möglichkeit, von ihren Angehörigen mit betreut werden zu können, dabei weniger stark isoliert werden zu müssen und trotzdem intensiv unterstützt werden zu können.

„Die Patientinnen und Patienten schätzen das genau auf Sie zugeschnittene Therapieprogramm“, weiß Helga Ullrich. Sie leitet das StaeB-Team pflegerisch und administrativ. „Die genaue Einsatzplanung für ein multidisziplinäres Team, in dem alle ihre spezifischen Aufgaben mit den Patientinnen und Patienten haben, ist eine Herausforderung.“ Es bedarf einer intensiven Auseinandersetzung des gesamten Teams mit den jeweiligen Patientinnen und Patienten und deren Therapiezielen. Darauf abgestimmt wird dann die Einsatzplanung, die an sieben Tagen der Woche mindestens einen Hausbesuch oder Termin für jede Patientin und jeden Patienten erfordert. Neben den Hausbesuchen können alle Angebote der Klinik, z.B. Sportgruppen oder Arbeitstherapie, mit einbezogen werden. So können dann die Probleme der Patientinnen und Patienten sowohl zu Hause als auch mit den Mitteln der Klinik individuell angegangen werden.

Jüngster Neuzugang des Teams ist Therapiehund Jimmy, der einmal die Woche eine spezielle StaeB-Gruppe besucht. „StaeB ist alles andere als eine intensive ambulante Behandlung. Wir haben mit StaeB eine neue und wichtige gemeindenahe Behandlungsform, mit der wir z.B. schwerer kranke Patientinnen und Patienten, die sich nicht in die Klinik getraut haben, auch erst auf eine stationäre Behandlung vorbereiten können. Oder wir helfen Patienten, die viele Male zu Krisenintervention in die Klinik mussten, sich in der Gemeinde ein Leben aufzubauen. In Zukunft wird sich hoffentlich die gesamte Psychiatrie noch viel weiter in Richtung dieser individualisierten Medizin weiterentwickeln“, prognostiziert Klinikdirektor Berner.

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