Zeitenwende für Gesellschaft und Wirtschaft: Rohstoffindustrie diskutiert Herausforderungen
So auch zur diesjährigen Keynote-Speech von Prof. Dr. Dr. h.c. Lars P. Feld. Er ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg und Direktor des Walter Eucken Instituts – eine sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Forschungseinrichtung – sowie persönlicher Berater des Finanzministers Christian Lindner. In seinem Vortrag präsentierte er den etwa 150 Anwesenden seine Antworten auf die Frage: „Zeitenwende für Wirtschaft und Gesellschaft – Was ändert sich?“.
Rückschlüsse für Finanz- und Wirtschaftspolitik
So werde die Energiekrise längerfristig anhalten – neben den durch die Corona-Pandemie und die aktuelle Inflation ausgelösten Schocks. „Wir müssen umdenken und umplanen, um mit den extremen Preissteigerungen zurechtzukommen“, sagte Professor Feld. Der Ökonom beschrieb die außerordentlich komplizierten wirtschaftlichen Zusammenhänge und Interdependenzen. Staaten und Notenbanken riet er, geldpolitisch nicht zu lange zu zögern und die Inflation aktiv zu bekämpfen – auch auf Kosten einer Rezession. Bislang sei die Finanzpolitik expansive und nachfrageorientiert ausgerichtet, was zu einer noch höheren Inflation beitrage.
Feld plädierte außerdem für mehr Pragmatismus, unter anderem bei der Energieerzeugung. Es sei vernünftig, die Kernkraftwerke länger laufen zu lassen und die erneuerbaren Energien schnellstens auszubauen. Gasverstromung solle zudem durch Kohleverstromung ersetzt werden. „Unser Rechtssystem ist zu kompliziert – wir brauchen eine Deregulierung“, verlangte er, insbesondere mit Blick auf die öffentliche Verwaltung. Hier seien vor dem Hintergrund künftiger Digitalisierung spürbare Umorganisationen nötig. Trotz allem äußerte sich der Wirtschaftswissenschaftler aber auch hoffnungsvoll. In Krisenzeiten seien Menschen zu Veränderungen bereit; dies müsse man nutzen.
Energie, Regulierung und Corona: Sorgen der Rohstoffindustrie
„In Krisenzeiten müssen Menschen zusammenrücken“, lautete daher auch der Rückschluss, den der ISTE-Präsident Peter Röhm zog. Während die vergangenen zwei Jahre von der Corona Pandemie geprägt worden seien, habe man jetzt mit dem Krieg in der Ukraine, mit der daraus resultierenden Energiekrise sowie mit Inflation zu tun. Der Chef des ISTE sparte nicht mit Kritik an der Politik. Diese denke zu wenig an die Industrie. Die Rohstoffbranche sei durchaus systemrelevant, was manchen noch nicht genügend bewusst sei.
Röhm forderte wie auch sein bayerischer Amtskollege, BIV-Präsident Georg Fetzer, mehr Unterstützung von Seiten des Staates; sonst seien Unternehmen bedroht. Wie auch der Wirtschaftsprofessor zuvor betonten sie: Eine Zeitenwende muss nicht nur mit negativen Themen besetzt sein. Sie könne auch als eine Chance für Veränderung verstanden werden: Zum Beispiel bei den sehr langwierigen Genehmigungsverfahren. Am Beispiel des Neuaufschlusses einer Kiesgrube im oberschwäbischen Äpfingen berichtete Peter Röhm in seinem Vortrag von seinen Erfahrungen, die er zusammen mit einem Partnerunternehmen gemacht hat. Von entscheidender Bedeutung sei dabei frühzeitige Information und transparente Kommunikation.
Kommunikation als Lösungsstrategie
Das stand auch im Mittelpunkt des zweiten Keynote-Vortrags, den Prof. Dr. Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim und Dr. Piet Sellke von der Kommunikationsberatung „adribo“ hielten. Sie stellten sich in ihrem Vortrag die Frage „Zeit für Kommunikation – Wie kann die Branche agieren?“. Darin präsentierten sie unter anderem die neu erschiene ISTE-Broschüre „Kommunikation und Bürgerbeteiligung“, die Empfehlungen zur Bürgerbeteiligung bei Erweiterungs- oder Neuaufschlussvorhaben von Steinbrüchen oder Kiesgruben und Baggerseen enthält und an der sie selbst beteiligt waren (siehe Informationskasten).
Prof. Dr. Brettschneider und Dr. Sellke rieten den Zuhörenden, zunächst die jeweiligen Gründe für Proteste herauszufinden. Wolle man Akzeptanz für ein Vorhaben erzielen, genüge es nicht mehr, auf rechtliche Verfahren zu verweisen. Vielmehr müsse frühzeitig ein systematisches Kommunikationskonzept erarbeitet werden, in dem auch sogenannte Stakeholder beratende Rollen einnehmen könnten. Es erfordere durchaus Umdenken, unternehmerische Projekte multiperspektivisch zu denken und anzugehen. Psychologische Faktoren spielten dabei nicht unerhebliche Rollen. Wichtig sei insbesondere, die Dinge und den Nutzen für die Gesellschaft verständlich zu erklären und nachvollziehbar darzustellen.
Weitere Themen: Digitalisierung…
Digitalisierung ist das Thema der Gegenwart und der Zukunft – auch in der Rohstoffindustrie. So hielt Thomas Karcher als Geschäftsführer und Vorstandsmitglied der Kies und Beton AG Baden-Baden und Vorsitzender des „ISTE-Arbeitskreises Digitalisierung“ ein Plädoyer für die digitale Transformation. Ziel des Arbeitskreises ist es, den Kunden eine digitale Handelsplattformen zu bieten. „Wir denken derzeit daran, im Sinne einer ‚Shopping Mall‘ ein Branchenportal zu initiieren, in dem sich Unternehmen präsentieren und den Kontakt zu ihren Kunden suchen können“, so Karcher – ein vielversprechendes Konzept, pflichtete ihm der Softwareentwickler Christian Landes (N1 Trading GmbH) bei, der bereits ähnliche Projekte umgesetzt hat.
Um das Thema Digitalisierung ging es auch bei Quirin und Severin Kraus von der Sachtleben Technologie GmbH in Bad Lauterberg. Sie stellten ihr eigens entwickeltes Überwachungssystem vor, mit dem permanent Schüttgutbestände online verfolgt werden können. Ihr „Owl-Eye-System“ besteht aus einer speziellen Software, die in Verbindung mit 3D-Lasern sowohl den aktuellen Bestand einer Halde als auch deren historisches Zustandekommen dokumentiert. Älteres und frischeres Material seien so identifizierbar. Sie könnten Entscheidungen nun auf Basis von Fakten treffen und Prozesse deutlich optimieren.
Ein Onlineshop zum Gamechanger: Dieses Fazit schloss Patricia Schicker von der „Steinlando GmbH und Co KG“ aus Bad Berneck in ihrem Vortrag. In ihrem Shop sei es rund um die Uhr möglich, über 300 mineralische Produkte online zu bestellen und deutschlandweit kostenfrei geliefert zu bekommen. Mit diesem Angebot antworte man auf einen allgemeinen Trend zum internetbasierten Handel. Sie konnte von der Erfolgsgeschichte dieser Unternehmensneugründung berichten, die an Endkunden Kleinmengen ebenso liefert wie größere Chargen. Man habe eine deutliche Markt- und Kundenerweiterung im In- und Ausland erfahren sowie Synergieeffekte innerhalb der eigenen Unternehmensgruppe entdecken und nutzen können.
… Klimaneutralität…
Dass nicht nur die digitale Transformation für das Überleben von Unternehmen in den kommenden Jahren entscheidend sein wird, sondern auch deren klimapolitisches Handeln, berichtete Eugen Schobesberger, Geschäftsführer Technik der Liebherr EMtec GmbH aus Kirchdorf/Iller. Er interpretierte den Klimawandel als Innovationstreiber für die Hersteller von Baumaschinen. Angesichts höchst unterschiedlicher Einsatzzwecke und Größen der Maschinen und Geräte verfolge sein Unternehmen technologieoffene Entwicklungsansätze. „Die Antriebsart der Zukunft steht noch nicht fest. Es wird bestimmt mehrere Lösungen geben, batterieelektrische wie hybride“, sagte er. Davon konnten sich die Teilnehmer:innen der Arbeitstagung später im Liebherr-Werk in Telfs selbst ein Bild machen: Dortiges Flagschiff ist ein Fahrmischer, dessen Trommel elektrisch betrieben wird.
Mit Blick auf CO2-Steuer, Emissionshandel und den Green Deal der Europäischen Union betonte Kevin-Robbyn Wick von der Wolff & Müller Energy GmbH in Ludwigsburg die Bedeutung des CO2-Fußabdrucks. Im Rahmen der sogenannten Taxonomie würden Unternehmen künftig Informationspflichten auferlegt und Bewertungen vorgenommen, welche direkten Einfluss auf die Kreditwürdigkeit der Firmen haben. Auch das Verhältnis zu Kund:innen und zu Mitarbeiter:innen werde künftig unmittelbar von klimapolitischen Entscheidungen der Unternehmen betroffen. Dies gelte für die innerbetriebliche Energieerzeugung genauso wie für die klimafreundliche Erzeugung von Baustoffen.
…und Generationenwechsel und Naturschutz
Für so manchen Unternehmer bedeutet der Wechsel zur nachfolgenden Generation in der Firmenführung eine einschneidende Zeitenwende. Die Cousins Christian und Martin Peter berichteten aus ihrer Unternehmensgruppe, der Hermann Peter KG in Rheinau, und sie schilderten ihre vielfältigen Erfahrungen. „Warten Sie nicht zu lange mit der Einarbeitung Ihrer Nachfolgerinnen und Nachfolger und übertragen Sie frühzeitig Verantwortung“, rieten sie jedem älteren Familienunternehmer. Den jüngeren Kolleg:innen legten sie ans Herz, sich zur Einarbeitung genügend Zeit zu nehmen: „Eine solche Kennenlernphase gibt es nie wieder für Sie. Arbeiten Sie auch an der Basis mit und stellen Sie viele Fragen!“ Neugierig solle man auch sein, wenn es um die Unternehmensgeschichte geht. Aus der Vergangenheit seien gegenwärtige Stärken und Schwächen eines Unternehmens erklärbar – klare Worte von „Juniorenseite“, die auf große Resonanz beim Publikum stießen.
Wie aus früheren Gegnern heutige Partner werden können, beschrieb BIV-Geschäftsführer Dr. Bernhard Kling am Beispiel des Konzeptes „Natur auf Zeit“. Seit Jahren schon arbeite der BIV mit dem Landesbund für Vogelschutz (LBV) und den Naturschutzbehörden des Bundeslandes am sogenannten „Amphibienprojekt“. In diesem bemühe man sich, während der Rohstoffgewinnung temporäre Lebensräume für Frösche, Kröten und Lurche zu schaffen und zeitweise zu erhalten. Das Bundesnaturschutzgesetz mit seinem individuellen Tötungsverbot werde diesen flexiblen Erfordernissen nicht gerecht. Deshalb gelte es, baldmöglichst Rechtssicherheit zu schaffen, um das Überleben von Amphibien in Gewinnungsstätten auch weiterhin zu ermöglichen und eine sogenannte Vermeidungspflege auszuschließen. In Kürze werde dazu eine Wanderausstellung von BIV und LBV organisiert. Deren erste Station: der Bayerische Landtag.
Die nächste Winterarbeitstagung von ISTE und BIV wird vom 15. bis 18. Januar 2023 im Hotel Aqua Dome in Längenfeld/Österreich stattfinden.
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