Gericht verlangt Blutzoll: Ohne Verletzte keine Verkehrsberuhigung
Eine Klägerin aus der Friedrichstraße bezieht sich auf den Zeitraum zwischen dem Verkehrsversuch, der am 31. Oktober 2021 endete, und der sogenannten „Teileinziehung”, die die Friedrichstraße rechtlich und dauerhaft zu einer Fußgängerzone machen wird. Da das Verfahren der Umwidmung Zeit in Anspruch nimmt, blieb ein Zeitraum von wenigen Wochen übrig, in dem der Senat hätte nachweisen müssen, dass Menschen verletzt oder getötet wurden, um den Kfz-Verkehr aus diesem Teil des öffentlichen Raumes zu verbannen.
„Man kann es kaum glauben, aber selbst im Jahr 2022 dürfen Behörden den öffentlichen Raum erst dann den Menschen ohne Benutzung von Autos zur Verfügung stellen, wenn zuvor jemand verletzt oder gar getötet wurde. Die Konsequenz aus dem §45 der StVO bedeutet, dass Kommunen kein Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen anordnen dürfen. Sie bedeutet auch, dass die Busspur in der Clayallee nicht angeordnet werden konnte und jetzt ist sie wieder der Grund, weshalb die Friedrichstraße für alle geschlossen wird außer dem Autoverkehr. Die StVO und das Gericht verlangen, dass Verkehrssicherheit mit Blut erkauft wird. Stattdessen müsste es doch heißen: Wir wollen um jeden Preis verhindern, dass jemand im Straßenverkehr verletzt wird“, kommentiert Inge Lechner von Changing Cities.
Da das Verwaltungsgericht der Klägerin Recht gegeben hat, besteht nun die Möglichkeit, den Kfz-Verkehr in der Friedrichstraße wieder zuzulassen, bis das Teileinziehungsverfahren beendet ist und die Straße dann zur Fußgängerzone umgebaut wird.
„Der Senat hat leider nicht aus vorigen Klagen gegen die Pop-up-Radwege gelernt. Fehler kann man machen, sollte sie aber nicht wiederholen: Die StVO kennt – bisher – weder Gesundheit noch Aufenthaltsqualität für Menschen, sondern nur akute Gefahrenlage. Autos sollen jetzt wieder in die Friedrichstraße zurückkehren, damit man eine Gefahrenlage überhaupt beweisen kann – das widerspricht jeglicher Logik. Eine konsequente Ausweitung des Fuß-, Rad- und öffentlichen Nahverkehrs macht hingegen die Stadt für alle lebenswerter und menschlicher, und es kommt dabei niemand unter die Räder“, sagt Ragnhild Sørensen von Changing Cities.
Wir fördern zivilgesellschaftliches Engagement für lebenswertere Städte. Das bislang größte Projekt von Changing Cities e.V. ist der Volksentscheid Fahrrad in Berlin, mit dem es 2016 gelang, die Berliner Verkehrspolitik zu drehen und das bundesweit erste Mobilitätsgesetz anzustoßen. Changing Cities e.V. unterstützt landes- und bundesweit Bürger*inneninitiativen, die sich im Bereich nachhaltige Verkehrswende und lebenswerte Städte einsetzen, mit Kampagnenwissen oder stößt solche Initiativen an. Changing Cities ist als gemeinnützig anerkannt.
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