-
Trotz Corona, China und Brexit – der Umbau der EU geht unverdrossen weiter
In Brüssel endete zu Sylvester die turnusmäßige EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands. Um sie zu bewerten, sollte man die Zugeständnisse kennen, die zu jetzt gefeierten Kompromissen führten. Um es vorweg zu sagen: Die Bilanz ist ziemlich mager. Auf der Aufgabenliste der deutschen Ratspräsidentschaft standen die Brexit-Verhandlungen, der Sieben-Jahreshaushalt der EU und das Handelsabkommen mit China. Beginnen wir mit China. Berlin betrachtete es als Ehrensache, nach 34 Verhandlungsrunden in den vergangenen sieben Jahren, dieses Abkommen zu Ende zu bringen. Es störte offenbar nicht, dass Corona aus China kam, wo die alleinherrschende kommunistische Partei erst den Ausbruch des Virus vor der Weltöffentlichkeit verschwieg, seitdem die Geschichte des Corona-Ausbruchs neu zu schreiben versucht und in diesen…
-
Es fehlen integre Journalisten
Kant war ein Mann der Ordnung. Gemäss ihm haben wir die Pflicht, dem Regierenden zu gehorchen. Doch ist die Pflicht untrennbar mit dem Recht verknüpft, diesen zu kritisieren. Eine Regierung zeigt, dass sie fair spielt und das Gemeinwohl im Sinn hat, wenn sie den freien Informationsfluss erlaubt, ja fördert. Wenn sich die Demokratie durch die Abhaltung regelmässiger freier Wahlen definiert, heisst «frei» sowohl das Recht, zu wählen und gewählt zu werden als auch die Möglichkeit, über Vorschläge und Kandidaten zu diskutieren. Wie der freie Markt das am besten geeignete Verfahren zu sein scheint, um eine effiziente Ressourcenverteilung zu erreichen, ist die freie Debatte und die Zirkulation der Meinungen die Grundlage…
-
Covid macht’s möglich: Das EU-Parlament schafft sich vorübergehend selbst ab
Auch das EU-Parlament ist nun ein Corona-Opfer. Vom 1. November an macht das EU-Parlament die Schotten dicht. Bereits in der vergangenen Woche wurden alle Parlamentsbeamte mit sofortiger Wirkung zu 100 Prozent Telearbeit verpflichtet. Dafür bekamen sie Laptops mit nach Hause, die etwa so groß sind wie zwei 250 Gramm Kaffeepäckchen nebeneinandergelegt, also weitgehend nutzlos für die seitenlangen Abstimmungslisten, die es für Ausschüsse und Plenarsitzung vorzubereiten gilt. Debatten sind abgesagt. Ausschüsse und Plenum finden nur noch als Videokonferenzen statt, wenn die Systeme nicht gerade wieder kollabieren. Um die Ausübung des Mandats im Parlament garantiert zu verhindern, wurden den gewählten Abgeordneten sogar die Tagegelder und die Reisekostenerstattungen gestrichen. Damit sollen sie von…
-
Demographie-Krise im Westen als Folge der Corona-Pandemie?
Die Corona-Krise wird Narben im demografischen Antlitz der westlichen Nationen hinterlassen. Sie zeigen sich schon im ersten Halbjahr 2020 in einer erhöhten Mortalität in Ländern wie Großbritannien, Spanien und Italien (1). In diesen Ländern ist auch die Rezession im 2. Quartal 2020 besonders hart gewesen: Im Vergleich zum Vorjahr brach die Wirtschaft um rund ein Fünftel ein – ein zuvor nie gemessener Negativrekord (2). Die wirtschaftliche Krise wird Folgen für die Fertilität haben, denn sie erschwert die Entscheidung für Kinder. Rezession, Arbeitslosigkeit und verbreitete Zukunftsangst könnten dazu führen, dass in Italien die Geburtenzahlen schon 2021 unter die Schwelle von 400.000 sinken werden. Davor warnt jetzt das italienische Statistikamt. Dabei wurde…
-
Von „Juno“ bis „Unplanned“ – Abtreibung ist ein großes Filmthema trotz aller Widerstände
Abtreibung ist ein Thema, auch im Film. Aber anders als der inzwischen in der Gesellschaft und insbesondere in der Politik zum „Konsens“ erhobenen Meinung, dass Abtreibung zwar ein Drama, aber unvermeidlich sei, entscheidet sich die überwiegende Mehrheit der in Spielfilmen dargestellten, ungewollt Schwangeren für das Kind. Seit Jason Reitman, dessen Film „Juno“ (2007) mit dem Oscar für das beste Originaldrehbuch ausgezeichnet wurde, eine 16-jährige Schwangere eine Abtreibungsklinik aufsuchte, es sich dann aber doch anders überlegte, wurden eine ganze Reihe Filme gedreht, in denen sich junge, ungewollt schwanger gewordene Frauen allen Schwierigkeiten zum Trotz gegen die Abtreibung entscheiden. Dies haben sowohl klischeehafte Hollywood-Komödien – „Beim ersten Mal“ („Knocked Up“, 2007) oder…
-
Die Probleme häufen sich
Die sitzungsfreie Zeit in Brüssel endete mit einem Paukenschlag aus Berlin: ausgerechnet die aktuelle Ratspräsidentschaft sprach aufgrund hoher Infektionszahlen eine Reisewarnung für Brüssel aus. Aber die Corona-Krise ist nicht die einzige Herausforderung, die sich der EU im zweiten Halbjahr stellt. Die EU-Kommission verliert einen der profiliertesten Kommissare. Die Reform des Migrationspakts, der anstehende Brexit und der mehrjährige Finanzrahmen ab 2021 werden die zweite Jahreshälfte bestimmen. Die Probleme häufen sich. Zunächst der Rücktritt: Ohne Corona-Maske kein Portfolio. Bei einem Ausflug ins heimische Irland wurde Außenhandels-Kommissar Phil Hogan ohne Corona-Maske erwischt. Er nahm mit zahlreichen Politiker-Kollegen an einem Abendessen der irischen parlamentarischen Golfvereinigung teil. Stilvoll, doch ohne Maske. In Irland gelten derzeit…
-
Lebenserwartung: Führt Corona an die Grenzen des Wachstums?
Wohl noch nie in Friedenszeiten waren Sterbefallstatistiken politisch so brisant wie in der Corona-Krise. Insbesondere für die Beurteilung der Lockdown-Maßnahmen spielen sie eine Schüsselrolle. Im Fokus steht die sog. Übersterblichkeit oder Exzess-Mortalität, die eine, im Vergleich zu Erfahrungswerten, erhöhte Sterberate bezeichnet. Mit Hilfe dieser demografischen Maßzahl werden Auffälligkeiten der Sterblichkeitsentwicklung im Zeitverlauf erfasst, z. B. die Auswirkungen von Grippewellen. In der Corona-Krise wurde oft auf die Grippewelle 2017/18 verwiesen, der 25.000 Todesfälle zugeschrieben werden (1). Tatsächlich handelt es sich bei den 25.000 Todesfällen um eine retrospektive Schätzung für eine gesamte Saison. Eine vergleichbare, abschließende Zahl gibt es für die Covid-19-Pandemie nicht, weil die Infektionswelle andauert. Fest steht, dass in deutschen…
-
Solidarität ist nicht dasselbe wie Nächstenliebe
Was gebietet die Solidarität angesichts der neuen Völkerwanderung? Ein Schuldbekenntnis, dass Europa mitverantwortlich sei für die Gewaltverhältnisse, die die Migration verursachen und dass es nun „eine historische Rechnung“ für die Ausbeutung seiner Kolonien bezahle? Die Grenzen zu öffnen und jeden aufzunehmen, der einreisen will? Schiffe ins Mittelmeer zu entsenden und die geretteten Flüchtlinge nach Europa zu bringen? Ist die Strategie der vier Imperative „Aufnehmen, Schützen, Fördern, Integrieren“, die die 20 Handlungsschwerpunkte des Heiligen Stuhls für die beiden Abkommen (Global Compacts) der Vereinten Nationen zu Flüchtlingen und Migranten und auch die Botschaft von Papst Franziskus zum Weltfriedenstag 2018 bestimmt haben, ein Gebot der Solidarität, mithin eine logische Konsequenz der katholischen Soziallehre?…
-
Guter Rat ist teuer – schlechter Rat noch mehr
Deutschland hat also am 1. Juli die Ratspräsidentschaft in der EU inne. Diese Brüsseler Dienstleistung erbringt turnusmäßig jeder Mitgliedsstaat sechs Monate lang. Im zweiten Halbjahr 2020 dient Deutschland nun als Moderator bei allen institutionellen Treffen der 27 Regierungen und ist der Vertreter des Rates gegenüber den anderen Institutionen. Das deutsche Leitmotiv für diese Dienstleistung klingt vage nach Donald Trump: „Gemeinsam. Europa wieder stark machen.“ Bekannte Framingvokabeln durchziehen das Great-Again-Programm: Stärke, Innovation, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Subsidiarität, Sicherheit, gemeinsame Werte. Doch Dreh- und Angelpunkte bleiben Covid-19 und damit verbunden jene Geldbeträge, welche die Mitgliedsstaaten nach Brüssel überweisen und die von dort aus wieder umverteilt werden, um die massiven wirtschaftlichen Folgen des staatlich verordneten…
-
Das 750-Milliarden-Stück: Worte und Vertragsbrüche
Mit 750 Milliarden Euro will die EU-Kommission also den Staatenverbund in der Krise zusammenhalten. Das sind schwindelerregende Zahlen in einer schwindelerregenden Zeit. Bislang ging man hier von einer Höchstgrenze von 500 Milliarden Euro aus. Doch seit Angela Merkel und Emmanuel Macron kürzlich mit ihrem eigenen deutsch-französischen Vorschlag mit 500 Milliarden vorpreschten, musste Frau von der Leyen nachlegen, um sich von Mitbewerbern abzusetzen. Doch ebenso schwindelerregend sind die Tricks und die angekündigten Verletzungen des EU-Rechts, die dabei von den einen verschwiegen und von den anderen als alternativlos hingenommen werden. Um die Entscheidungen der EU-Kommission zu verkünden, wurde eigens eine außerordentliche Plenarsitzung in Brüssel einberufen. Es war ein lustloser parlamentarischer Maskenball, nur…